Thomas
Huonker
A rchiv
Texte
A nderes
www.thata.ch
Inhalt
- Liste aller thata-Seiten
- Histodrom
- Dokumente - Bilder
- Jenische in der Schweiz
- Jenische in Europa
- Roma in der Schweiz
- Sinti und Roma in Europa
- Roma in der Welt
- Der Umgang mit Fahrenden in der Schweiz bis 1798 - Auszüge aus Chroniken
- Fahrende und Bürgerrechte - Zwangseinbürgerung 1851
- Das "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" (1926-1975)
- Verdingkinder - "Rassenhygiene" und "Eugenik" in der Schweiz
- Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen
- Die schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus
- Der Sammler, Historiker und Flüchtling Eduard Fuchs (1870-1940)
- Menschenrechte und Minderheitsrechte - Texte von Thomas Huonker - Pressespiegel
- Bilder und Objekte von Thomas Huonker - Ausstellungen - Vita - Publikationen
- Literaturverzeichnis - Service - Animalorama - Sitemap/Index - home

index



links



mail
Liste von kommentierten Dokumenten
zu den Themen Minderheiten, Roma, Sinti, Jenische, Indigene, Menschenrechte, Menschenrechtsverletzungen, Kindswegnahmen, Anstalten, Geschichte, Pro Juventute, "Eugenik", "Rassenhygiene", Zwangssterilisation, Kastration, Psychiatrie, Rassismus, Flüchtlingspolitik, Völkermord, Holocaust

Dokument Nr. 33:

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Basel [von 1216 bis 1800]
Auszug aus dem Artikel von Eva Tov: "Integration - (k)ein Thema für die jüdische Gemeinde",
in: Fördern und Fordern im Fokus, Leerstellen des schweizerischen Integratonsdiskurses, hg. v. Esteban Piņeiro, Isabelle Bopp und Georg Kreis, Zürich 2009, S. 202-228. Das Zitat dort S. 204 f.

Die schriftlichen Quellen belegen die Anfänge der jüdischen Gemeinde [in Basel] zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Die erste Nennung eines Juden fällt auf 1216. Die damalige Zeit war, was den Broterwerb der jüdischen Bevölkerung betraf, von massiven Einschränkungen geprägt. Lediglich Geldgeschäfte /p.205/ waren den Juden erlaubt, nachdem diese bei den Christen nicht nur als verpönt galten, sondern auch mit Strafen belegt wurden. (Fussnote: Papst Alexander III. gestattete den Juden 1179 das Geldgeschäfte, während Papst Innozenz III. 1215 das Kanonische Zinsverbot für Christen erliess.) Nachdem es im Rahmen des ersten Kreuzzugs [1096 und Folgejahre]êntlang des Rheins zu schrecklichen Pogromen gekommen war( Fussnote: vgl. Nathan Birnbaum / H. Hermann: Edom. Berichte jüdischer Zeugen und Zeitgenossen über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge, Berlin 1919), stellte der damalige Herrscher die Juden in den Stand Kaiserlicher Kammerknechte, womit sie zum Eigentum des Kaisers und somit unantastbar wurden; allerdings mussten sie für diesen besonderen Schutz hohe Abgaben bezahlen. Doch auch damit gab es keinen absoluten Schutz. Beim Nahen der Pest Mitte des 14. Jahrhunderts wurde die erste jüdische Gemeinde ausgelöscht. Nachdem der tobende Pöbel 1348 den jüdischen Friedhof entweihte und zerstörte, trieb man wenig später alle jüdischen Frauen und Männer auf einer Insel zusammen, sperrte sie in ein Holzhaus und zündete es an. Ihre Kinder wurden zwangsgetauft und in Klöster gesteckt, wodurch sie überlebten. Einige Erwachsene entkamen durch die Taufe eine begrenzte Zeit dem Tod. Als aber die Pest im Frühling 1349 die Stadt erreichte, verfolgt man die Konvertierten und erzwang ihnen unter Folter Geständnisse, worauf man sie hinrichten liess. In der Folge sollte die Stadt [Basel] 200 Jahre lang 'judenrein' sen. Allerdings dauerte es keineswegs so lange, bis Juden in der Stadt [Basel] wieder geduldet wurden. Das grosse Erdbeben von 1356 brachte es mit sich, dass immense Geldsummen benötgt wurden, so dass schon in den 60er Jahren des 14. Jahrhunderts unter der Schirm- und Steuerherrschaft, die der Kaiser der Stadt übertragen hatte, eine steigende Zuwanderung zu verzeichnen war. In den 70er Jahren umfasste die mittlerweile 2. jüdische Gemeinde rund 150 Personen. Als sich aber gegen Ende des Jahrhunderts wiederum Seuchen und Unruhen abzeichnete und es erneut Gerüchte wegen verseuchter Brunnen gab, entschieden sich die Juden, die Stadt zu verlassen. Diese beschloss ihrerseits, künftig keine Juden mehr aufzunehmen. Allerdings lebten in ihrer Umgebung im Schutz Oesterreichs und des Bischofs weiterhin Juden. In der Stadt selbst hiel sich lediglich ein jüdischer 'Wunderarzt' auf, mit exklusivem Wohnrecht. Bis 1800 gab es keine jüdische Gemeinde mehr [in Basel].
Die hier beschriebenen Ereignisse stehen für viele andere, die sich ähnlich zugetragen haben. Einmal galten die Seuchen als Vorwand, ein anderes Mal eine Ritualmordbeschuldigung, aber immer dienten sie dazu, einem blutrünstigen Mob das Quälen und Morden zu ermöglichen. Für eine Übersicht der Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Schweiz siehe Claude Kupfer / Ralph Weingarten: Zwischen Ausgrenzung und Integration. Geschichte und Gegenwart der Jüdinnen und Juden in der Schweiz, Zürich 1999.

Kommentar:
1348, 1349 und 1350 fanden entsprechende Pogrome mit Vertreibungen und Verbrennungen der jüdischen Bevölkerung auch in Zürich, St. Gallen und vielen anderen Orten der Schweiz statt. Aehnliche Verfolgungen hatten in Bern schon 1294 in der Folge einer Ritualmordbeschuldigung begonnen.
Das Wohnsitzverbot für Juden galt über Jahrhunderte im allergrössten Teil der Eidgenossenschaft, mit Ausnahme von Lengau und Endingen im Untertanengebiet Aargau seit dem 17. Jahrhundert. Ausgehend von einigen regionalen Regelungen erhielten die Juden in der Schweiz erst im späten 19. Jahrhundert dieselben Bürger- und Wahlrechte wie die christlichen Männer sowie das allgemeine Niederlassungsrecht und die Freiheit der Religionsausübung zugestanden, im vollen Umfang und in der ganzen Schweiz erst 1874, abgesehen vom in der Schweiz seit 1893 bestehenden Schächtverbot.
Vgl. auch Dokument Nr. 16