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Dokument Nr. 16:

Verfolgungen der Juden in der alten Eidgenossenschaft.
Artikel "Juden" aus Hans Jacob Leus Schweizerischem Lexicon, Bd. 10, Zürich 1756, S.632 - 634

"Von diesem in der ganzen Welt zerstreuten Volk haben sich ehemals auch in den meisten Städten der Eydgenossschaft und in etlichen nicht wenig aufgehalten, sind aber folglich bald an allen Orten ausgerottet oder verjagt worden, wie dann Anno 1288 in der Stadt Bern einer wegen an einem Knaben namens Ruf ausgeübten Mord mit dem Rad hingerichtet worden, und die andere alle aus der Stadt weggeschaffet; auch eine Satzung, keine mehr zu dulden, gemacht, und ohnerachtet Kayser Rudolphus, weilen die Juden in des Reichs Schirm gewesen, derselben Wieder-Annahme gebotten und und die Stadt desswegen mit einer Buss belegt; von selbiger hierinn keine Folg geleistet worden;sie vor und in dem Jahr 1348 an vielen Orten verspührte Pestilenz ward nach etlicher Meinung begründet, nach andrer aber unschuldig den Juden und den durch selbige vergifteten Brunnen sc. zugeschrieben, und entstunden desswegen in den Städten Basel, St.Gallen sc. Aufläuf der Burgerschafft, und wurden an beyden Orten, sonderlich aber zu Basel in einem in einem in dem Rhein hierzu eigens gebauten hölzern Haus eine grosse Anzahl verbrennt, und erkennt, dass man innert 200 Jahren keine mehr in die Stadt einsitzen mögen lassen solle, und, da der Herzog Albrecht von Oesterreich bey 330 Juden auf Kyburg [bei Winterthur] Unterschlauf geben wollen, ward er genöhtiget, selbe auch zum Feuer herauszugeben. In dem folgenden Jahr wurden auch in der Stadt Mülhausen alle Verhandne hingerichtet, und der Entwichnen Häuser geplündert, da auch in gleichen Jahr in Zürich, hinter der Juden Häusern in dem Wolfbach, ein ermordetes Knäblein gefunden worden, wurden die Thäter verbrennt, und die andern von Stadt und Land verwiesen, müssen aber unlang hernach wieder aufgenommen worden seyn, zumahlen Bischof Heinrich von Constanz Anno 1383 erlaubt, dass sie in der Stadt Zürich eine Synagog und Juden-Schul, auch ein Begräbnus-Ort, jedoch nur für die Einheimsche, halten mögen; sie wurden aber gleich hernach Anno 1401, da man befunden, dass sie ihren Geleiths-Briefen zuwider gehandlet, um 1500 Gelden gestrafft und abermal der Stadt und Land Zürich verwiesen; es wurden auch in gleichem Jahr wegen Verdacht einiger Vergifftungen in der Stadt Schafhausen nach einigen 19, nach andern 27 verbrennt; es ward auch auf einer Gemein Eydgenössischen Tagsatzung Anno 1490 beschlossen, dass keinem Juden zugelassen seyn solle, einem Christen auf liegendes Gut etwas zu leyhen, noch mehhr als von dem Gulden wöchentlich ein Pfenning Uebernuzens zu fordern, und Anno 1622, dass die Juden aus gemeiner Eydgenossenschaft Landen verwiesen sein sollen, welches auch Anno 1653 und Anno 1662 von neuem bestähtiget worden, da immittelst auch insbesonder Anno 1557 denenselben in der Stadt Basel aller Zugang in und aussert den Messen abgestrikt, Anno 1682 der angesuchte Aufenthalt in der Stadt Genf abgeschlagen, und Anno 1634 von der Oberkeit der Stadt Zürich sie auf ewig von ihrer Stadt und Land weggewiesen worden.
Stumpf Chron. Helv. lib. V. c. 15, 17, 33. Stettlers Nüchtland Gesch. und Rahn Eidgenöss. Geschicht Beschr. ad. dict. an. Hottinger Helvet. Kirchgesch. Part II, p.168, Spon. Hist. de Geneve, Tom. II p.53.
Es werden auch dermahlen in der Eydgenossschaft nirgend keine Juden haushablich geduldet, als einige Haushaltungen in der Grafschaft Baden."

Kommentar:
Leus Schweizer Lexikon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts entstand in einer Zeit praktisch vollständiger Ausgrenzung der Juden aus katholischen wie protestantischen Orten der Schweiz und beschreibt die einzelnen Etappen der brutalen Verfolgung. Der Lexikonartikel schildert einigermassen korrekt, dass die Verfolgungsmassnahmen aufgrund blosser Verdächtigungen in Gang gesetzt wurden und die ganze verfolgte Gruppe trafen, mit Ausnahme der Schilderung der Judenverbrennung in Zürich; dieses Pogrom war ebenfalls keineswegs ein normales Verfahren gegen "Thäter", vielmehr traf die Mordaktion die ganze Gruppe und war mit kollektiver Ausraubung der verbrannten und vertriebenen jüdischen Opfer durch die Zürcher Obrigkeit mit Bürgermeister Brun an der Spitze verbunden. Dass die Geständnisse betreffend die den Juden europaweit stereotyp vorgeworfenen rituellen Kindermorde, ebenso wie entsprechende absurde Beschuldigungen der angeblichen Hexen sowie anderer Verdächtigter im Visier der damaligen Justizapparate, den Opfern auf der Folter abgepresst wurden, erwähnt das Lexikon nicht, da die Folter zur Erscheinungszeit des Lexikons nicht nur in der Schweiz gängige Justizpraxis war. Erst die helvetische Revolutionsregierung verbot am 12. Mai 1798 die Tortur. Unter dem Einfluss der Aufklärung hinterfragt Leus Lexikonartikel immerhin die damals noch weitherum vertretenen Konstrukte, wonach die Pest auf angebliche Brunnenvergiftungen zurückzuführen sei, wobei der Artikel auch erwähnt, dass diese unseligen Theorien eben auch geäussert, verbreitet und geglaubt worden waren. Der Lexikonartikel erwähnt ferner, dass der Schutz überregionaler Obrigkeiten für die Juden, selbst wenn er einigermassen entschlossen war, die jüdischen Menschen in der alten Eidgenossenschaft nicht vor mörderischen Attacken schützte. Der Verfasser des Lexikons prangert diese Verfolgungen nicht an, sondern schildert sie als blosse Begebenheit.
Die eidgenössischen Erlasse, sowohl diejenigen der Tagsatzung wie der lokalen Obrigkeiten, zur Vertreibung der Juden finden gewisse Parallelen in den ebenso brutalen Erlassen zur Vertreibung der "Zeginer" und "Landfahrer".
Zur leidvollen, erst in jüngerer Zeit endlich auf die Grundlage der Gleichberechtigung gestellten Geschichte der Juden in der Schweiz vgl. Claude Kupfer / Ralph Weingarten: Zwischen Ausgrenzung und Integration, Geschichte und Gegenwart der Jüdinnen und Juden in der Schweiz, Zürich 1999.
Zur Geschichte der Juden in Zürich vgl: Geschichte der Juden in Zürich Von den Anfängen bis in die heutige Zeit. Autoren: Annette Brunschwig, Ruth Heinrichs, Karin Huser, Herausgeber: Monique R. Siegel, Ulrich Bär. Zürich 2005