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zu den Themen Minderheiten, Roma, Sinti, Jenische, Indigene, Menschenrechte, Menschenrechtsverletzungen, Kindswegnahmen, Anstalten, Geschichte, Pro Juventute, "Eugenik", "Rassenhygiene", Zwangssterilisation, Kastration, Psychiatrie, Rassismus, Flüchtlingspolitik, Völkermord, Holocaust

Dokument Nr. 41:

Vortrag, gehalten von Uschi Waser, Präsidentin Naschet Jenische, Inhalt gemeinsam erarbeitet von den drei jenischen Mitgliedern des Stiftungsrats der Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" Daniel Huber (Präsident Radgenossenschaft), Uschi Waser (Präsidentin Naschet Jenische) und Venanz Nobel (Vizepräsident Schäft qwant), an der Tagung "40 Stand- und 80 Durchgangsplätze bis 2020" am 7. April 2011 in Bern.


Zukunft?
Zigeuner?
Schweizer Fahrende? Jenische? Manische?


Das Thema

Die heutige Tagung beschäftigt sich hauptsächlich mit einem einzelnen, wenn auch seit der Gründung der Stiftung "Zukunft Schweizer Fahrende" zentralen Aufgabengebiet: der Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende. Viele Referate und Diskussionen der Tagung drehen sich um rechtliche und raumplanerische Fragen. Doch reicht das aus, um die Zukunft für Schweizer Fahrende zu sichern? Brauchen sie wirklich "nur" ein paar zusätzliche Quadratmeter? Und können diese Platzbedürfnisse wirklich an Tagungen und am Schreibtisch eingelöst werden? Wie ist die Situation heute? Welche Rahmenbedingungen müssen verändert werden? Wer ist das überhaupt: "die Fahrenden" und wie leben sie 2011? Die Stiftung wurde 1997 gegründet. Was hat sich seither im alltäglichen Überlebenskampf Fahrender verändert? Solchen Fragen wollen wir jetzt aus der Sicht der Jenischen nachgehen.

Eine kleine Portion Vorgeschichte
Alfred Siegfried Kinder der Landstrasse1926 war für die Jenischen ein Schicksalsjahr, das bis heute nachwirkt. In diesem Jahr gründete Pro Juventute ihr sogenanntes "Hilfswerk Kinder der Landstrasse" und legte damit indirekt den Grundstein dafür, dass ich heute hier stehe und zu Ihnen spreche. Zwar gab es auch früher schon Kindswegnahmen. Und solche repressive Fürsorgepraktiken grassierten bis in die jüngste Zeit nicht nur gegen Jenischen sondern zum vermeintlichen Wohl vieler von Amtes wegen als "unterstützungswürdig" betrachteten Menschen. Der grosse Unterschied aber bestand in der Absicht dieses unsäglichen "Hilfswerks", das sich schlicht "die Entvölkerung der Landstrasse", also die Vernichtung all dessen, was sie als "fahrendes Volk" betrachteten, auf die Fahne geschrieben hatte. Doch so schnell und einfach ging das nicht, wie selbst Alfred Siegfried, der Gründer und Leiter des "Hilfswerks", bald einsehen musste. Der gesellschaftliche Wandel und der Mut jenischer Mütter, die Anfang der 1970er-Jahre ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten und in der Zeitschrift "Beobachter" endlich schlagkräftige Unterstützung fanden, beendeten diesen Jahrzehntelangen schleichenden Genozid. Bei den Jenischen herrschte Aufbruchstimmung. Im Willen, das Rad der Geschichte weiterdrehen und eine neue Zeit einläuten zu können, gründeten sie 1975 ihren ersten eigenen Verein, den sie als Antwort auf das "Hilfswerk Kinder der Landstrasse" die "Radgenossenschaft der Landstrasse" nannten und sich Hilfe zur Selbsthilfe auf die Fahne schrieben. Es war ihr starker Wille, mit der Mehrheitsgesellschaft und deren Vertretern in Politik, Verwaltung und öffentlichkeit auf gleicher Augenhöhe reden und verhandeln zu können. Zwar fragten sich beispielsweise Opfer des "Hilfswerks" beim Kennenlernen: "Bist Du auch jenisch?" Doch ausserhalb der eigenen Gemeinschaft kannte kaum jemand dieses Wort.
So war es nur folgerichtig, dass diese Radgenossen der ersten Stunde bei den andern Völkern mit dem "Zigeuner-Etikett", den Sinti, den Roma, Zusammenarbeit suchten, um gemeinsam für die Anerkennung ihrer Minderheiten zu kämpfen. Der Begriff "fahrendes Volk" wollte also diese Verbindungen symbolisieren. Er wollte gleichzeitig auch den Jenischen helfen, an verloren gegangenen Traditionen anzuknüpfen und die eigene Identität der Jenischen und ihres Volkes zu stärken. Die Politiker, die nun endlich begannen, die Jenischen ernst zu nehmen, eine gewisse Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht zu leisten und den Jenischen einen eigenständigen Platz in der modernen Gesellschaft zuzugestehen, bedienten sich auch des althergebrachten und gewohnten Begriffes "Fahrende". So kam es auch zur Gründung dieser Stiftung mit genau diesem Namen: "Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende". Die Erkenntnis, dass 90% der Jenischen heute sogenannt "sesshaft" leben, die Förderung ihrer Kultur und Identität genau deshalb aber umso dringender und für eine Zukunft der Schweizer "Fahrenden" mitentscheidend ist, führte dazu, dass endlich auch die letzten überlebenden des "Hilfswerks" und ihre Nachkommen in den politischen Gestaltungsprozess dieser Zukunft miteinbezogen werden. So wurde ich als Präsidentin der Stiftung "Naschet Jenische" und Vertreterin dieser verlorenen Generation Mitglied der Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" und stehe heute hier, um Ihnen die Anliegen und Sorgen der Jenischen näher zu bringen. Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung letztes Jahr die Schaffung einer Webseite "Schweizer Fahrende in Geschichte und Gegenwart" in Auftrag gegeben. Die Webseite soll im modernen Umfeld einen Beitrag dazu leisten, dem "fahrenden Volk" einen gleichberechtigten Platz in unserer Gesellschaft zu schaffen, die eigenständigen Kulturen der Jenischen und Manischen mit ihren Geschichten und Traditionen der Mehrheitsbevölkerung näher zu bringen. .

Vom Namen zum Standplatz
Nun fragen sich wohl einige von Ihnen, was denn das nun wieder sein soll, Manische? Dass diese Gruppe, die in Deutschland unter dem Begriff "Sinti" und in Frankreich unter dem Begriff "Manouches" bekannt ist, in der Schweiz so klein und fast gänzlich unbekannt ist, hat seinen Grund wiederum auch in der Geschichte der schweizerischen Politik, die mittels Grenzsperren und Ausweisungen die Schweiz bis in die 1970er-Jahre fast "zigeunerfrei" halten konnte, insbesondere eben Gruppen von Roma, Sinti, Manouches konsequent des Landes verwies. Die wenigen Familien, die seit Generationen in der Schweiz leben und somit neben den Jenischen die Minderheit innerhalb der "Schweizer Fahrenden" bilden, nennen sich ihrer Herkunft entsprechend Manische. Dass wir heute Sie, sehr geehrte Damen und Herren, dazu aufrufen, uns bei unsern Namen, also Jenische und Manische, zu nennen, hat nun nichts mit der Vergangenheit, aber sehr viel mit unserer Zukunft zu tun. Wenn ich Sie, meine Damen und Herren, allesamt als "Alphirten" bezeichnen würde, würden Sie sich wohl kaum angesprochen fühlen. Trotzdem sind die Alphirten ein wichtiger Teil der Schweizer Geschichte und brauchen im modernen Umfeld die Hilfe des Staates, um unsere Berggebiete weiter pflegen zu können. Sehr ähnlich und in wohl überraschend vielen Punkten sogar verwandt sind die Probleme der Jenischen und Manischen. Als Jenische setze ich mich ein, dass mein Volk eine Zukunft bekommt, als ganze Gemeinschaft von sogenannt "fahrenden" und "sesshaften" Jenischen. Das Fahren und somit auch die Notwendigkeit, genügend Standplätze zu erhalten, gehören zu unserer Kultur wie die Alpweide zur überwiegend verstädterten Schweiz gehört. Manches mal wird den fahrenden Jenischen vorgehalten, dass die Schweizer ja auch ihre Wohnung selber suchen müssten und nicht immer einfach nach dem Staat rufen könnten. Das stimmt wohl. Und trotzdem gibt es auch in der Mehrheitsgesellschaft Leute, die keine Chance haben, eine Wohnung in der Zeitung zu finden. Für diese gibt es den sozialen Wohnungsbau. Wann aber haben Sie in Ihrer Zeitung zum letzten Mal ein Inserat gesehen: "Standplatz für Fahrende zu vermieten"? Das muss schon sehr lange her sein, denn im 35-jährigen Archiv der Radgenossenschaft finden wir kein einziges!
In diesen 35 Jahren hat sich die Schweiz langsam, aber stetig, weiter entwickelt. Ein wichtiger Teil dieser Entwicklung war schon lange vorher die Bautätigkeit. Rechtzeitig bevor der letzte Acker überbaut wurde, erkannte die Politik dieses Problem und begann, mit Raumplanung, Baugesetzen und so weiter, die Verwendung des Bodens zu reglementieren. Als die ersten Baugesetze erlassen wurden, lebten fahrende Jenische geduldet an Waldrändern, neben Bauernhöfen und sehr oft sehr versteckt in Kiesgruben. Es gab noch keine eigenen Organisationen und niemand, der die Anerkennung und den Schutz dieser Minderheit einforderte. Wen wundert es da, dass die Schaffung von Standplätzen in diesen Reglementen und Gesetzen schlicht vergessen ging?
Doch heute ist für die Jenischen nicht 5 vor 12, es ist bestenfalls noch 1 Minute vor 12! Um als eigenständige Minderheit eine Zukunft zu haben, brauchen wir deshalb heute alles, was während Jahrzehnten vergessen ging oder gar willentlich zerstört oder verweigert wurde, gleichzeitig. Um Standplätze schaffen zu können, brauchen wir griffige Raumplanungen, die Platz für Fahrende ebenso selbstverständlich vorsehen wie Landwirtschaftszonen. Um diese Planungen umsetzen zu können, brauchen wir staatliche Hilfe beim Kauf, Bau und Unterhalt der Plätze. Doch wie können wir erwarten, dass solche Anliegen realisiert werden können, wenn den zuständigen Beamten die Jenischen nicht ebenso geläufig und bekannt sind wie der Bauernverband oder die Unternehmensverbände? Doch wieso sollte der Beamte, der ja auch ein Teil der Mehrheitsgesellschaft ist, uns besser kennen und öfter an uns auch in seiner Arbeit denken, als Herr und Frau Müller, die höchstens ab und zu in der Zeitung von durchreisenden Romasippen lesen oder im Konzertsaal Zigeunermusik hören?

Was Standplätze mit Schulen zu tun haben
Jenische sind keine Romasippen und spielen keine Zigeunermusik. Um trotzdem der von der Politik mit der Schaffung der "Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende" in Aussicht gestellten Sicherung des überlebens als eigenständige Minderheit in kleinen Schritten näher zu kommen, brauchen wir die künftigen Generationen der Mehrheitsgesellschaft. Jedes Schulkind soll die Schweiz in all ihren Facetten vermittelt bekommen. Doch in welchem Schulbuch kommen die Jenischen vor? Ein Vortrag einer Jenischen vor Schulklassen, wie es zum Glück in den letzten Jahren öfter geschieht, ist ein Tropfen auf einen heissen Stein, birgt sogar die Gefahr in sich, dass wir weiterhin nur als "exotische Randnote" wahrgenommen werden. Wenn im Unterricht, ob Geschichte, Geografie, Sozialkunde, wie immer die Fächer heissen, weiterhin nur die verschiedenen Aspekte der Mehrheitsgesellschaft unterrichtet werden, werden auch Ihre NachfolgerInnen, sehr geehrte Damen und Herren, nicht mit der nötigen Selbstverständlichkeit an uns denken, wenn die Raumplanung folgender Generationen am Schreibtisch entsteht.
Schon etliche behördliche Medienkampagnen warben dafür, dass Ausländer ganz gewöhnliche, gleichberechtigte Nachbarn seien. Wann wird eine Medienkampagne mit Fernsehspots, Werbeplakate, Zeitungsinserate unsere Minderheit ebenso vorstellen? Längst unterstützen Integrationsbeauftragte die Schaffung von alewitischen Kulturzentren und im Sport sind Vereine wie "FC Birlik", "CD Espanol", "FC Italia" und so weiter Teil der Schweizer Meisterschaft. Jeder kennt die Serben und Portugiesen in seiner Umgebung, sei es am Arbeitsplatz oder im Wohnumfeld. Erst wenn mit der gleichen Selbstverständlichkeit auch die Schaffung jenischer Kulturzentren oder eines Bootsch-Platzes, auf dem sesshafte Jenische ihren Sport ausüben, gefördert werden, wird die Gefahr kleiner, dass die Uhr bald 5 nach 12 zeigt, ohne dass die Jenischen auch nur eine Chance gehabt hätten, als eigenständige Gruppe zu überleben. Wenn dannzumal über die Schaffung eines Standplatzes abgestimmt werden soll, haben wir eine Grundvoraussetzung geschaffen, von der wir noch weit entfernt sind: das Wissen von Herrn und Frau Müller, dass es in ihrer Nachbarschaft 30'000 Jenische gibt, mit denen sie im Alltag problemlos zusammen leben, die ihnen kaum je auffallen, ausser vielleicht beim jährlichen Konzert des jenischen Kulturverbandes ihrer Stadt. Das sind Rahmenbedingungen einer Gesellschaft, die die Jenischen genauso als erhaltenswerten Teil ihrer eigenen Geschichte und Kultur begreift wie ihre Alphirten.

Alles nur eine Sonntagspredigt?
Jenische auf ReiseManches mag Ihnen nun als Allgemeinplatz vorgekommen sein, das Ganze vielleicht gar als Sonntagspredigt. Für mich, meine Kinder und Enkel ist es das nicht. Für uns geht es ganz existenziell um unser überleben als Teil eines Ganzen: des jenischen Volkes. Genau deshalb sind wir heute hier. "40 Stand- und 80 Durchgangsplätze für Fahrende bis 2020" stehen im Titel dieser Tagung. Doch auch die Gründung der Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" vermochte bisher wenig Handgreifliches zu leisten, den durch das Verschwinden der traditionellen jenischen Wohnplätze, die heute "spontaner Halt" genannt werden oder schlicht nicht mehr als mit den heutigen Gesetzen vereinbar gehalten werden, entstandenen Notstand zu beheben. Mit viel Engagement konnte gerade der Status Quo der offiziellen Stand- und Durchgangsplätze knapp gehalten werden. Von den Zielvorgaben, genügend Lebensraum für Fahrende zu schaffen, auch kommenden Generationen die Freiheit zu lassen, ihre Kultur nach eigenen Vorstellungen zu leben, sei es im Haus oder eben im Wohnwagen, sind wir so weit entfernt wie 1997. Heute müssen wir dafür kämpfen, dass bestehende Plätze nicht geschlossen werden, dass sanitäre Einrichtungen den Grundbedürfnissen entsprechen, dass Fahrende überhaupt auf die Reise gehen können ohne mit finanziellen oder behördlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Wir gehen einen Schritt nach vorne und 1 ½ Schritt zurück. Die rechtlichen und behördlichen Grenzen werden immer grösser und das überbrücken dieser wird zeitaufwändiger und schwieriger. Zwar anerkannte das Bundesgericht im wegweisenden Urteil im Fall von May Bittel 2003, dass auch die Bedürfnisse der fahrenden Bevölkerung der Schweiz befriedigt werden müssten, dass das geltende Raumplanungsrecht im Sinne von Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention auszulegen ist und dass die Planung allenfalls überkantonal, "nötigenfalls unter der Schirmherrschaft des Bundes" an die Hand genommen werden müsse. Unter Berufung auf dieses Bundesgerichtsurteil haben übergeordnete Behörden eine Handhabe, den Anspruch der Fahrenden auf eigenen Lebensraum auch gegenüber subalternen Behörden durchzusetzen. Trotzdem wird laufend in Kauf genommen, dass Jenische, die auf die Reise möchten, in den Häusern bleiben müssen, weil für sie kein Platz vorgesehen ist, dass Jenische, die im Wohnwagen leben, ständig mit einem Fuss im Gefängnis stehen, weil sie ihre Wagen irgendwo in einer Landwirtschaftszone abstellen oder mit ihrer Lebensart, zu der das Arbeiten auf dem "mobilen" Wohn- und Arbeitsplatz gehört, auf einem Campingplatz nicht toleriert werden, weil dieser in der Erholungszone für sesshafte Menschen liegt. Auch wenn die Wohnmobile der Jenischen vom selben Hersteller kommen und man so von aussen keinen Unterschied sieht: die Verwendung ist eine ganz andere. Die Mehrheitsgesellschaft braucht den Wagen, um an Wochenenden oder in den Ferien zu campieren. Jenische campieren nicht, sie leben in Wohnwagen, sie wohnen, im Familienverband, mehrere Wohnwagen die so zusammen auf der Reise sind und für die Feriengäste des Campingplatzes eine bedrohlich wirkende "Meute" darstellen können. Die Campingplätze wurden geschaffen zwecks Erholung der gestressten Städter. Das Fehlen eigener Plätze, auf denen wir wohnen, leben, arbeiten können, verursacht den grössten Stress reisender Jenischer.
Ich will meine "Sonntagspredigt" nicht mit einer Anhäufung von Zahlen verzieren. Die Gutachten, die die Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" erstellen liess, stehen Ihnen zur Verfügung und sprechen eine deutliche Sprache. Ich hoffe aber, dass dieser Tagung nicht Worte, sondern Taten folgen werden. Taten, die helfen, die Forderungen der hier mitwirkenden jenischen Verbände umzusetzen:

* Anerkennung der jenischen Kultur als gleichberechtigten Teil der Schweizer Geschichte und Gesellschaft

* Förderung des Zusammenlebens der Jenischen mit der Mehrheitsbevölkerung

* Integrative Schulangebote für alle, ob "Fahrende" oder "Sesshafte"

* Integration der jenischen Kultur und Geschichte in das Bildungswesen

* Wiedergutmachung der jahrhundertelangen Verfolgung durch konsequente Förderung eigenständiger jenischer Kulturprojekte

* Schaffung von genügend Stand- und Durchgangsplätzen für Angehörige von Minderheiten mit nomadischen Traditionen

* Anpassung der Gesetze an die Bedürfnisse der Fahrenden, Ermöglichung des "spontanen Halts"

In diesem Sinne danke ich Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der Radgenossenschaft, der Stiftung Naschet Jenische und des Vereins schäft qwant für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf anregende Diskussionen und eine gute Zusammenarbeit bei der Umsetzung unserer Tagungsziele.


Kommentar:
Die Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende" existiert seit 1997. Sie wurde vom schweizerischen Staat eingerichtet. Präsident, Sekretär und die Mehrheit der Stiftungsräte waren seit der Stiftungsgründung und auch zur Zeit der Abhaltung dieser Tagung Angehörige der Dominanzkultur; die VertreterINNen der Jenischen sind in der Minderheit. Die Stiftungsrätinnen und Stiftungsräte werden vom schweizerischen Bundesrat eingesetzt. Hauptziel der Stiftung ist die Schaffung von mehr Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende in der Schweiz.