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Dokument Nr. 35:

Das Konkordat der Schweizerischen Tagsatzung betreffend

Ertheilung von Heimathrechten an die Heimathlosen

vom 3. August 1817, dem sich Schwyz und Graubünden nicht anschlossen, während Appenzell-Innerhoden eine Sonderduldungsregelung eigener Art zugestanden wurde.

(Aus dem separat paginierten Anhang zum Landbuch des Kantons Uri, enthaltend den Bundesvertrag der Eidgenossen [vom 7. August 1815], und einige in Kraft bestehende Tagsatzungs-Beschlüsse, Verordnungen und Concordate, auch einige Verträge mit auswärtigen Staaten, als Schlussteil von: Das Landbuch oder officielle Sammlung der Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Eidgenössischen Kantons Ury, Zweyter Band, Flüelen, Kanton Uri, gedruckt bei Franz Xaver Zgraggen 1826)


/Anhang p.35/

Ertheilung von Heimathrechten an die Heimathlosen.

Concordat vom. 3. August. 1819.

Die nachbenannten Stände der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Luzern, Zürich,Bern, Ury, Unterwalden, Glarus, Zug, Freyburg, Solothurn, Basel, Schaffhausen, Appenzell beyder Rhoden, (Innerrhoden mit dem uuten stehenden Vorbehalt), St. Gallen, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Genf, haben zu endlicher Bestimmung des Zustandes der Heimathlosen, nach vorgenommener Revision des darüber abgeschlossenen Conkordats, folgende Uebereinkunft geschlossen:

1. §.

Diejenigen Heimathlosen , welche ein von ihren Eltern besessenes Heimathrecht darthun können, denen aber dasselbe, aus was immer für einer Ursache, nicht zugestanden werden will, sollen in demjenigen Canton, worin sie sich wirklich aufhalten, so lange geduldet werden, bis über ihre Heimathrechtsansprache entschieden seyn wird.

2. §.

Um diesen Entscheid zu erhalten, soll vor allem aus zwischen den betreffenden Regierungen

/Anhang p.36/

des angesprochenen und desjenigen Cantons, worin der Ansprecher sich aufhält, eine Korrespondenz eröffnet werden, und wenn vermittelst derselben der Wiederspruch innerhalb Jahresfrist nicht gehoben werden kann, so soll derselbe ungesäumt an das Eidgenössische Recht, nach dem fünften Artikel des Bundesvertrags, gewiesen werden.

Die erbethenen Schiedsrichter sollen ihren Entscheid spätestens im Lauf der auf ihre Ernennung zuerst folgenden Tagsatzung aussprechen, wofern anders nicht beyde streitende Theile für einen längern Zeitraum einverstanden sind.

3.§.

Durch die Uebernahme oder Zuerkennung von Heimathlosen, wird den Verfügungen keineswegs vorgegriffen, welche der Canton über die bürgerlichen Rechte und Genüsse dieser seiner Angehörigen zu treffen und für gut findet.

4. §.

Diejenigen Heimathlosen, welche ein, selbst oder durch ihre Eltern besessenes, ursprüngliches Heimathrecht nicht darthun können, sollen demjenigen Canton angehören, in welchem sie seit Anfang des Jahres 1803 sich am längsten aufgehalten haben; wobey die Cantonalverfügungen über die Rechte und Genüsse derselben gleichmäßig vorbehalten bleiben.

/Anhang p.37/

5.§.

Würden hinsichtlich der längern oder kürzern Duldung, oder des Aufenthalts, die der Heimathlose in verschienenen Cantonen genossen hat, und der dadurch begründeten endlichen Aufnahme desselben, sich Widersprüche zwischen den betreffenden Regierungen ergeben, so soll ihn derjenige Canton, in welchem er zuletzt seinen Aufenthalt oder Wohnsitz hatte, so lange dulden, bis jener Widerspruch, nach der im 2. §. vorgeschriebenen Anleitung, welche auch in diesem Falle zur Richtschnur dienen soll, gehoben seyn wird.

Obige, für die Unterscheidung und Behandlung der Heimathlosen festgesetzte Bestimmungen, sollen gleichmäßig auf die Convertiten und Proseliten und zu Ausmittlung ihrer zweifelhaften oder mangelnden Heimathsverhältnisse angewandt werden.

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Note.

Unter den Concordierenden erklärt der Löbl. Stand Appenzell I. R., daß er, dem Sinn und Wesen des Concordats gemäß, seinen Heimathlosen, zwar nicht förmliche Land - und heimathliche Rechte, wohl aber ein sicheres Duldungsrecht angedeihen lasse, d. h. das Recht, im Lande zu wohnen und jedes erlaubte Gewerbe gleich den Einheimischen zu treiben; für das Heirathen solcher Geduldeten aber, sey eine besondere Einwilligung der Regierung erforderlich; wenn Appenzellische Heimathlose andern Cantonen zur Last fallen, so stehe ihnen die Aufnahme als Geduldete selbst zu. — Diese Erklärung wurde am 4. Juli 1821 und 11. Juli 1822 von den Conkordierenden Ständen (ohne Tessin, welcher gegen Appenzell I. R. die Konvenienz vorbe-

/Anhang p.38/

hält) als genügend und dem Zweck des Concordats entsprechend angenommen, mithin Appenzell I. R. als im Concordat stehend anerkannt.

Schwyz bedingt seine Ratification durch den doppelten Vorbehalt, daß der Canton zu allen Zeiten befugt sey, von diesem Concordat zurüekzutreten; und daß auch, in Folge desselben, keine Heimathlosen , die nieht Katholiken sind, von ihm aufgenommen werden müssen; erklärt aber zugleich, in Fällen, wo es um Anwendung des Coneordats zu thun seyn wird, sich den Folgen desselben nicht entziehen zu wollen.

Am11. Juli 1822 erklärten Bern, Luzern, Unterwalden, Freyburg, Solothurn, Schaffhausen, St.Gallen, Aargau, Waadt,Wallis, Neuenburg, Genf und Appenzell A. R., daß sie den bedingten Beytritt Löbl. Standes Gchwyz nicht anerkennen können, und gegen diesen Letztern, als außer dem Coneordat stehend, volle Reciprocität und Convenienz vorbehalten müssen. (Hiebey hat die Gesandtschaft von Luzern die Erläuterung gegeben, dieser ihr Convenienzvorbehalt beziehe sich bloß auf die provisorische Duldung, sonst aber nehme ihr Hoher Stand das Anerbiethen des Eidgenössischen Rechts in allen Fällen unbedingt an). — Ury, Zug, Glarus, Basel, Thurgau, Tessin und Zürich, nehmen hingegen die Erklärung von Schwyz für einen Beytritt zum Concordat an, mit Vorbehalt jedoch des Gegenrechts, wenn früher oder später die beygefügten Bedingungen auf die volle Wirksamkeit der gedachten Uebereinkunft einen nachtheiligen Einfluß haben sollten. — Insofern der Löbl. Stand Schwyz die Grundsätze des Concordats vor dem Eidgenössischen Richter anerkennen will, wird Appenzell I. R. ihn als beytretend ansehen.

Schwyz erklärte hierauf, gegen diejenigen vorbenannten Cantone, von welchen es als im Coneordat stehend anerkannt wird, die daherigen Verbindlichkeiten getreu und ohne Gefährde zu erfüllen. Allfällige Streitigkeiten über Heimathlose mögen, nach Anweisung des Bundes, die Erledigung in dem Eidgenössischen Recht

/Anhang p.39/

erhalten. Inzwischen behält Schwyz gegen die seinen Beytritt nicht anerkennenden Stände auch seinerseits die Convenienz vor.

Graubünden kann zwar den Beytritt zu dem Comordat noch nicht aussprechen, ist aber bereit, bey allen vorkommenden Anständen sich der bundesgemäßen Erledigung durch das Eidgenössische Recht zu unterziehen. Bis zu erfolgendem förmlichen Beytritt behalten die Concordierenden gegen Graubünden (laut Erklärung vom 11. Juli 1822) Reciprocität und Convenienz vor.



Kommentar:

Bis zur Erteilung von Heimat-, d.h. Bürgerrechten, an die damaligen Heimat-, d.h. Papierlosen, sollten in der Schweiz noch mehrere Jahrzehnte vergehen. Es gab noch weitere Konkordate und Beschlüsse der Tagsatzung zu dieser Frage, doch wurde nur ein kleiner Teil der Bürgerrechtslosen von den Kantonen eingebürgert, und mit der Duldung war es nicht weit her. Abschiebungen über die Kantonsgrenzen blieben an der Tagesordnung. Selbst als, nach der Installierung des liberalen Bundesstaats von 1848, am 3. Dezember 1850 das "Gesetz die Heimathlosigkeit betreffend" erlassen wurde, dauerte es bei vielen Bürgerrechtslosen weitere Jahrzehnt lang, bis Kantone und Gemeinden bereit waren, jenen Menschen das Heimat- und Bürgerrecht zu gewähren, bei welchen die Nachforschungen der Bundesanwaltschaft ergeben hatten, dass sie rechtlich relevante Bezüge zu ihnen hatten, beispielsweise dadurch, dass ihre Vorfahren das dortige Bürgerrecht irgendwann verloren hatten, wegen Heirat mit einem Partner anderer Konfession, wegen Gerichtsurteilen oder wegen längerer Ortsabwesenheit, oder es unehelich geborenen Nachkommen gar nicht weitergeben konnten, insbesondere, wenn sie ohnedies seit Generationen als Fahrende lebten. Andere, bei denen die Bundesanwaltschaft rechtlich relevante Bezüge zu Orten in anderen Ländern ausfindig machte, wurden dorthin ausgeschafft. Es kam dabei auch zu Familientrennungen. Viele Heimatlose wurden auch auf Staatskosten in die Kolonien verfrachtet. Vgl. auch Dokument Nr. 28, Dokument Nr. 12, Dokument Nr. 32