Bestimmungen betreffend
Wandergewerbe, Bettelvogt, Landjäger und Scharfrichter im Kanton
Uri zwischen 1794 und 1818, aus: Das Landbuch oder officielle
Sammlung der Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des
Eidgenössischen Kantons Ury, Zweyter Band, Flüelen, Kanton
Uri, gedruckt bei Franz Xaver Zgraggen 1826, S. 174-186
/p.174/
Dreyundreyssigste Abteilung
Verschiedene Bestimmungen
Finanz- und Policeykommission, und
ihre Verrichtungen
Art. 429.
Die Finanz und Polizey/Kommission besteht aus drey Mitgliedern/
und einem Sekretär und Weibel. Sie wird alle 2 Jahre vom w. w.
Schwörlandsrathe neu erwählt. Die Präsidentenstelle
wechselt Umgangsweise unter den hochgeachten Hrn. Vorgesetzten. Ein
jeweiliger Landseckelmeister ist Amtswegen beständiges Mitglied
dieser Behörden, und ein Rathsherr von Altdorf wird ebenfalls
nach der Umgangs-Ordnung dazu ernennet. Der Sekretär wird von
der Finanz. Kommission selbst bestellt: und der Weibel-Dienst steht
dem Großweibel zu.
Die
Finanz-Kommission ist in finanziäller Beziehung die
vorberathende Behörde: sie macht Vorschläge/ und unterlegt
dieselben der Genehmigung UGHrn. [Unsern Gnädigen Herrn] und
Obern: und hat dann noch folgende Gegenstände zu besorgen unter
sich:
a ) Die Aufsicht über die Landjäger und ihren Dienst.
/p.175/
b) Die Leitung und Anordnung polizeylicher Anstaltenin Bezug auf
die herumstreichenden Fremden und Vaganten.
c) Sie besorgt den Einzug der Erbschafts-Abgaben nach Anweisung
des Art. 135 Landbuchs.
d) Dessgleichen besorgt sie auch den Bezug der Kaufhaus-Gebühre/
und nimmt dem Hausmeister die daherige Rechnung ab.
e) Sie ordnet
den Verkauf des Stempel-Papieres an und verifiziert die daherige
Rechnung.
f) Der Finanz-Commission ist übertragen
den Krämern auf dem Platz zu Altdorf die Stände anzuweisen/
und das Standgeld zu beziehen, von welchem sie jährlich Gl. 35
der Gemeinde Altdorf, und Gl. 35 den Weibeln und Spielleuten, die an
den Jahrmärkten bey dem gewöhnlichen Umzug erscheinen,
solle zukommen lassen. Sie hat auch über die Vollziehung der im
folgenden Artikel enthaltenen Verordnungen wegen fremden Krämern
und Hausierern, so unsere Jahr- und andere gewöhnlichen und
anerkannten Märkte besuchen oder ihre Waare zum Verkaufe im
Lande herumtragen, zu wachen und die dahin bezüglichen
angemessenen Verfügungen zu treffen.
/p.176/
g) Sie revidirt die sämmtlichen Zollrechnungen und bescheint
das Richtigbefinden derselben oder macht darüber UGHrn.[Unsern
Gnädigen Herrn] die nöthigen Bemerkungen.
h) Sie besorgt zu Handen der Zentralarmenpflege den Bezug der im
Art. 105. lit. d. bestimmten Abgabe vom Tanzen.
i) Die Finanz.
Kommission besorgt ferner zu Handen der Bezirkskasse den Einzug des
Ohmgeldes und bringt die deßwegen bestehenden Gesetze in
Erfüllung.
k) Die laut Art. 335. §. 18 der Obrigkeit anheimfallenden
Rütenen werden von der Finanz- Kommission verlehnt, und soll von
derselben der jährliche Lehnzins dafür eingezogen werden.
l) Auch hat sie den Einzug des Auflages vom außer Landes
gehenden Holz, laut Holzordnung, so wie den Zoll vom Viehe, welches
neben den Zollstätten in oder außer Land geführt
wird/ zu besorgen. Sie steht deßwegen mit den betreffenden
resp. Dorfgerichten in Relation, die schuldig sind, Auskunft und
Bericht zu erstatten: wie die Art. 307. und 308. ausweisen.
m) Dieser Behörde steht zu, alle Wochen vereint mit dem
aufgestellten Fleischschätzer /p. 177/
das
Fleisch zu schätzen, und den Preiss durch einen öffentlichen
Anschlagzedel bekannt zu machen.
n) Der Finanz-
und Polizey-Commission ist das Strafrecht über Gegenstände,
die in ihr Fach einschlagen, nach gesetzlicher Bestimmung bis auf Gl.
[Gulden] 10 eingeräumt. Höhere Straffälle aber soll
sie UGHrn.[Unsern Gnädigen Herrn] anzeigen.
Art. 430.
Verordnung
wegen den Patenten der Krämer und Hausierer.
Um die fremden Krämer und Hausierer, so unsre Jahr- und andre
gewöhnliche und anerkannte Märkte besuchen und ihre Waaren
zum Verkauf im Land herum tragen, einer bessern Ordnung und
Polizeylichen Aufsicht mit einer angemessenen Patenten-Gebühr zu
unterwerffen, wird verordnet:
1. §. Es solle keinem fremden Krämer oder Hausierer
erlaubt seyn in Unsrem ganzen Kanton, es seye gleich heimlich oder
öffentlich seine Waaren feil zu biethen oder zu verkaufen, er
habe dann zuvor von der Kanzley die hiezu erforderliche Patente
erhalten, und die dafür festgesetzte Gebühr bezahlt: Und
zwar unter der unnachläßlichen Buße von acht
Schweizer-Franken auf jeden dar-
/p.178/
wider handelnden, wovon die Hälfte dem Kläger zukommen
soll.
2. §. Die
Krämer und Hausierer, welche in unsrem Kanton ihre Waaren
abzusetzen suchen, und daher das hiezu nöthige Patent zu nehmen
gehalten sind, sollen, bevor sie selbes erhalten können, ihre
Päße oder Heimathscheine aufweisen, wann sie nicht ohne
diese schon genug bekannte Personen wären.
3. §.
Diejenigen Krämer oder Hausierer, welche ihre Waaren zwar durch
hier ansässige Personen herumtragen und verkaufen lassen, sich
aber gleichzeitig im Land aufhalten, sind ebenfalls der
Patenten-Gebühr unterworfen.
4. §. Dieses Patent soll für die Märkt besuchenden
Krämer auf das ganze Iahr, für die Hausierer aber nur auf
ein Monat, und zwar nur für die Person, welche in dem Patent
bezeichnet ist, und nicht auf Weib und Kindcr, sich erstrecken: und
soll den Hausierern von dem Tag an, da ihr erhaltenes Patent
ausgeloffen ist, bis nach Verfluß von zwey ganzen Monaten, kein
neues Hausier-Patent ertheilt werden.
5. §. Die Juden sind gegenwärtiger Verfügung nicht
unterworfen und sollen nach Inhalt des Art. 198. behandelt werden.
/p.179/
6. §. Die Krämer, welche nur Lebensmittel, oder Limonen
[Zitronen] und Pomeranzen [Orangen] verkaufen, sollen von obiger
Verpflichtung enthoben sein.
7. §. Die Krämer, welche ihre Waaren auf hiesigen Jahr-
und anderen gewöhnlichen und anerkannten Märkten feil zu
halten und zu verkaufen verlangen, sollen für ihr Patent auf das
ganze Jahr vier Schweizer-Franken bezahlen.
8. §. Die Krämer aber, welche nur geringe Waaren, als:
Rosenkränze, Bücher, Kerzen und dergleichen verkaufen,
zahlen für ihr Patent auf ein ganzes Jahr zwey
Schweizer-Franken.
9. §. Die Hausierer, welche Seiden-Waaren, baumwollene
Tücher, Bettdecken, seidene Sonnen-Schirm oder Regen-Tächer,
Uhren, Gold, Silber und andere Galanterie-Waaren von Werth verkaufen,
sollen für ihre Patent für ein Monat zwey Schweizer-Franken
bezahlen.
10. §. Die Hausierer, welche mit Garten-Gesäme,
Spezerey-Waaren, Leinwand, oder Schweizer Tüchern handeln, so
auch die Kessler und Segesen-Händler [Sensenhändler],
zahlen für ihr Patent auf ein Monat ein Schweizer-Franken.
11. §. Denen Materialisten, so Medicamenten haben, wird keyn
Patent gegeben werden, sie haben dann zuvor vom Sanitäts-Rath
die gehörige Erlaubniss dazu erhalten, und in solchem Fall be-
/p.180/
zahlen auch selber für ihr Patent einen Schweizer-Franken.
12. §. Jeder, der sich erlaubte etwas feil zu bieten oder zu
verkaufen vor dem erhaltenen Patent, oder nachdem ihre Patent-Zeit
verflossen ist, sind in acht Schweizer-Franken unerlässlicher
Busse verfallen, wovon dem Kläger die Hälfte zukommen soll.
13. §. Die resp. Gemeinds-Behörden und die
Polizeybeamten des Kantons sind besonders beauftraget, für die
Handhabung dieser Verordnung zu wachen.
14. §. Die dieser Verordnung zuwider Handelnden sollen dem
Präsidenten der Finanz- und Polizeykommission angezeigt werden.
15. §. Die Patenten werden wie ehemals von der Kanzley
verfertiget und ausgehändiget, und von derselben die desshalben
gesetzte Gebühr bezogen.
Die Finanz- und Polizeykommission ist mit der Vollziehung dieser
Verordnung beauftragt, und ihr überlassen, desshalb das gut
findende zu veranstalten.
[Vom] Landsrath erkennt [in Kraft gesetzt] 1818.
/p.181f./
Artikel 431. [enthält Bestimmungen über die
Pfriester-Pfründen]
Artikel 432. [enthält
Bestimmungen über die Bekämpfung der "Landplage"
der "schädlichen Käfer", d.h. der Maikäfer]
Artikel 433. [enthält
weitere Bestimmungen betreffend Maikäferbekämpfung, u.a.
betreffend "die ärmere Volks-Classe, die sich mit Fangung
der Käfer im besonderen abgiebt", S. 182]
Artikel 434. [enthält
Bestimmungen zum Schützenhaus Altdorf]
Artikel 435. [enthält
Bestimmungen zur Vermeidung von Streit auf der Alp Enetmärkt]
/p. 184/
Artikel 436. [von 1804]
Der Scharfrichter soll in Ansehung der Sömmerung
seines Viehes auf hiesigen Allmenden und Alpen wie ein Landmann
gehalten werden.
Artikel 437. [enthält Bestimmungen gegen die
Beschädigung der Verbauungen am Schächen]
Artikel 438. Der Bettelvogt wird vom Landrathe
erwählt und soll jährlich vor dem Schwörlandrathe um
die Bestättigung anhalten. Er ist nebst der im Spithale ihm
angewiesenen Dienstleistung verpflichtet, an Sonn- und Feyer-Tägen
während
/p. 185/
dem
Gottesdienste, Predigt und Christen.-Lehren auf den Plätzen
herumzugehen, umb die herumziehenden Knaben oder die müßigen
Leute, besonders diejenigen, die er beym Spielen und Kegeln antrifft,
in die Kirche zu weisen, und nach wiederholtem Antreffen dieselben an
Behörde anzuzeigen. Er ist auch schuldig, gleich wie die
Landjäger, auf das herumziehende fremde Gesindel, Bettler, und
Vaganten fleißig zu wachen, und im Betrettungsfalle dieselben
vor die Polizey, nd dann nach deren Weisung weiters zu führen.
Ueber das muß der Bettelvogt bey kleinen Kriminalfällen
die Körperlichen Strafen vollziehen, und soll desswegen an den
Malefiz-Landräthen [Gerichtstagen], und so oft es
UGHHern.[Unsere Gnädigen Herren] befehlen, sich auf dem
Rathhause einfinden, und da die ihm zu erteilenden Befehle
gewärtigen.
Dagegen soll
ihm jährlich Gl. [Gulden] 50 halb an Geld, und halb an Posten
als Jahrlohn, und alle 6 Jahr je nach Bedürfniss ein neues
Röcklein von der Landes-Farbe aus dem Landsäckel verabfolgt
werden.
Es sollen ihm
fernerhin, wie ehedem, für jede Exekution Sch. [Schilling] 30
bezahlt werden. Noch [dazu] sollen ihm auch für jeden Tag so er
sich auf dem Rathhause stellen und die Befehle abwarten muss, Sch. 20
Taglohn gegeben werden.
/p. 186/
Wenn er aber an gleichen Tagen Executionen zu verrichten hat, so
sollen ihm die Sch. 20 nicht bezahlt werden.
Wenn ihm
besondere Aufträge wegen Bettlerjagden u. d. g. ertheilt werden,
so ist er schuldig, dieselben zu befolgen, soll dann aber auch
besonders dafür bezahlt werden.
[Vom] Landrath erkennet 1794, 1803, 1804
Kommentar:
Dieser Abschnitt aus dem Urner Landbuch gibt einen guten Überblick
über die Behandlung der Nichtsesshaften zwischen 1794 und 1818.
Das gut bezahlte, strenge, Kirche und "Unsern Gnädigen
Herrn" zudienende, die Bettler physisch bestrafende Wirken des
in den Landesfarben uniformierten Urner Bettelvogts wurde zwar
zwischen 1794 und 1803 offensichtlich kurz eingestellt, vermutlich in
der Zeit von 1798 bis 1803, doch 1803 wieder eingeführt und 1804
präzisiert.
Die Regelung von 1804 betreffend das Vieh des Scharfrichters ist
eine Milderung früherer Bestimmungen gegenüber dem in alten
Zeiten als "unehrlich" und unrein geltenden, für die
damaligen Herrschaftsformen jedoch unentbehrlichen Berufsstand.
Die erwähnten Landjäger, d.h. Berufspolizisten, deren
Hauptaufgabe die Überwachung der Fremden und "Vaganten"
war, wurden in anderen Regionen der Schweiz ebenfalls zu Beginn des
19. Jahrhunderts eingeführt.
Die detaillierten Bestimmungen betreffend das Wandergewerbe von
1818 sind eine der frühesten Patentregelungen (Patent im Sinn
von Sonderregelungen für das Wandergewerbe) in der Schweiz. Sie
dokumentieren die Wichtigkeit der verschiedenen Wandergewerbe, die
einen breiten Bereich von Dienstleistungen abdecken, aber auch das
Bestreben, diese Berufsleute und deren Familien einer strikten
Kontrolle zu unterstellen, bei Strafe hoher Bussen. Den hohen Bussen
gegenüber erscheinen die eigentlichen Patentgebühren dieser
frühen Wandergewerberegelung im Vergleich zu jenen, wie sie
später, insbesondere seit dem letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts bis Ende des 20. Jahrhunderts in den schweizerischen
Kantonen polizeilich eingetrieben wurden, als einigermassen
erschwinglich.
Dass die Juden von diesen Bestimmungen ausgenommen waren,
bedeutete, dass sie einem krass diskriminierenden Sonderregime
unterlagen. Der Artikel 198 des Urner Landbuchs, auf den im oben
zitierten Text verwiesen wird, und der sich dort p.202 befindet,
lautet:
"Art. 198. Den Juden ist aller Handel im Kanton Uri
verbothen."
|
|
|