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Dokument Nr. 30:

Auszug aus: Heinrich Zschokke: Die klassischen Stellen der Schweiz, Erste Abtheilung, Karlsruhe und Leipzig 1836, mit (hier nicht wiedergegebenen) Kupferstichen von Henry Winkles nach Zeichnungen von Gustav Adolph Müller, S. 66-74

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III

Kanton Schwytz.

Der Hauptort Schwytz.

Am Spiegel des romantischen Sees der vier Waldstätte, wo er sich um das, allen Schweizern heilige Grütli südwärts herumbeugt, erblickt man nördlicher, im Busen des Gebirgs, eine ausgedehnte reizende Uferlandschaft. Der grüne Wiesengrund, geschmückt mit Weilern, Baumgärten, Kapellen und kleinen Dörfern, schwillt amphitheatralisch bis zum Bergzug des Haggen empor, der den Hintergrund füllt. Den Nahmen des großen Bildes stellen, links und rechts der Rigiberg und der Gebirgsstock der Frohnalp dar; im Mittelpunkt des Ganzen schimmern, zwischen Gebüschen und Obstbäumen, die Gebäude des Fleckens Schwytz, am Fuß des Haggen, eben da, wo dieses zwei schroffe, gewaltige Felsenkegel von ungleicher Höhe in die Lüfte rekt. Man nennt diese Kegel die Myten. Die Spitze des Höchsten ragt 5870 Fuß über das Meer, und trägt ein langes hölzernes Kreuz, welches, obschon von der Tiefe aus kaum sichtbar, als Wahrzeichen der Landesfrömmigkeit dahin gepflanzt zu seyn scheint.

Schwytz selbst, der Hauptflecken, welcher dem kleinen Freistaat den Namen gab, den, nach den ersten Freiheitsschlachten, alle Eidsgenossen empfingen, die sich mit den Urkantonen verbündeten, gewährt mit den städtisch gebauten, weisgetünchten Häusern einen recht freundlichen Anblick. Jmmitten des Hirtenlandes findet man da auch Sorge für des Lebens Anmuth getragen; in wohlhabendern Familien, feinern, geselligen Ton, kleine Büchersammlungen, kleine Kunstsammlungen, sogar ein kleines Theater Die Pfarrkirche, wird, wie eine Mutter von ihren Kindern, mit Wohngebäuden, Klöstern und Landhäusern umringt. Sie ist noch jung; erst in den Jahren 1772—1774 entstanden, als die ältere endlich

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der vermehrten Christenmenge zu eng geworden war. Aber auch die ältere war nicht die älteste des Landes; sondern diese stand vermuthlich in einem abgelegenen, rauhen Bergthal, Jberg geheißen. Da hatte vermuthlich einer der frühesten Heidenbekehrer einst zwischen Felsen und Wäldern seine Berhütte aufgeschlagen. Jch setze zu Allem ein »Vermuthlich", wie sichs gebührt, wenn man von mündlichen Ueberlieferungen spricht. Man weiß nur, daß vor Zeiten die Hirtenfamilien, welche zerstreut und noch nicht zahlreich, in den Thälern von Unterwalden und Schwytz wohnten, die weite Reise zum Kirchlein nach Jberg machten, und abwechselnd nach dem unterwaldner Ennetmoos, zum Gottesdienst, wie etwa heutiges Tages noch im unbevölkerten Innern Nordamerika's dergleichen fromme Sonntags-Fahrten geschehn. Auch izt noch hat das Kirchlein von Jberg, durch alterthümliches Herkommen, bei jährlichen Kreuzfahrten seinen Vorrang.

Doch nicht eigentlich der Flecken Schwytz, sondern das ganze Ländchen, diese republikanische Antike, kaum großer, als 22 Geviertmeilen mit etwa 38,000 Einwohnern, ist eine Merkwürdigkeit der Schweiz. Am, Fuße der Hochalpen dehnt es sich, mit seinen Bergreihen und Thälern, zwischen dem Waldstätter-, Zuger- und Züricher-See aus. Jch sage nichts von seinen landschaftlichen Schönheiten. Sie sind genug gepriesen, besungen und konterfeit. Sie bilden einen idyllischen Epos. Hier ist kein betäubender Wechsel von Ueberraschungen; kein Gebirgskamm, der sich so hoch in den Himmel erhebt, bis seine Felsengrathe im ewigen Eis erstarren. Das Liebliche paart sich mit dem Großartigen in sanften Ubergängen, fast künstlerisch geordnet. Zwischen Wildbächen und Obsthaineu , Blumenfluren und Felsen, Alpentriften und Hüttengärten, freundliches Wohnen eines biederen, stämmigen, heitern Völkchens.

Jch will lieber von diesem reden. Es lebt bekanntlich von Wiesenbau, Alpenwirthschaft, Viehzucht; damit wird freilich kein Uebermaaß des Reichthums geerntet; aber auch kein Unmaaß der Armuth verbreitet. Beide erblickt man hier allenfalls im Wallfahrtsort Einsiedeln beisammen. Jm Allgemeinen besitzt jede der ländlichen Haushaltungen ohngefähr soviel Eigenthum, als für des Leibes Nahrung und Nothdurft hinreicht. Und viel ist da nicht vonnöthen, wo man sich am Unentbehrlichen genügen läßt. Wohnungen der Menschen und Ställe des Viehs, sind, wie im Gebirg überall, von Baumstämmen des nächsten Waldes zusammengefügt; von innen vertäfelt, oft zierlich, meistens reinlich; die Schindeldächer mit großen Steinen gehörig belastet, damit sie kein Sturmwind ent-

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führe. Brod, Fleisch oder Wein erscheinen im Jahre selten auf dem Tische. Man fühlt sich auch bei Most, Milch und Quellwasser, Kartoffeln, gedörrtem Obst, Käse und ähnlicher Kost, gesund und wohlgemuth, welche der Garten, das Feld und die Heerde liefern. Vom ersparten Gewinn der Arbeit wird das Gewand, das Haus- und Küchengeräth auf benachbarten Märkten eingekauft, wenn man es in Winterlageri nicht selber bereiten kann. Die Städte Luzern, Zug und Zürich versorgen den Reichern mit dem, was, bei einfacher Lebensart, dem Minderbemittelten überflüssig dünkt.

Hier muß man, so wenig, als in andern Hirtenländern, Künstler und Handwerker suchen, ausser den wenigen, die man nirgends vermissen kann. Nicht einmahl der Schuster wird zu viel in Anspruch genommen. Der Hirt wandelt, mit Halbstrümpfen und nackten Füßen, auf hölzernen Sohlen, die er selber schnizt und mit angenagelten Riemen trägt. Ein Hirtenhemd von Hanf, hinten mit einer Kapuzze, gleich einer Kapuzinerkutte, bedeckt ihn im Sommer bis zu den Hüften und den kurzen Hosen. Große Fabriken giebt es nicht. Nur in Gersau Seidenmanufacturen; aber dieser kleine Flecken gehört erst seit 30 Jahren zum Kanton Schwytz.

Er war, um beiläufig von ihm zu reden, mit seinen anderthalbhundert Häusern, ehmal's ein eigner, souveräner Freistaat; hatte aber nicht durch seine Winzigkeit das beneidenswürdige Loos, in den politischen Stürmen des Welttheils ganz übersehn und uergessen zu werden, wie San-Marino immitten Jtaliens, oder der Freistaat Andorre im Pyrenäenthal, und wohl andre dergleichen mikroskopische Republiken. Wie gesagt, Napoleon verleibte ihn dem Kanton Schwytz ein. Noch izt haben die paar hundert Bürger den Unabhängigkeitsverlust ihres Vaterländchens nicht ganz verschmerzt. Können sie nun keine Landsgemeinde mehr halten, lassen sie doch alle Jahr noch den herwallfahrtenden Gaunern oder Fekern der Schweiz, wie man sie nennt, ihren Landtag mit allen möglichen Lustbarkeiten feiern, ohne daß die Polizei Einspruch thut. Diese Gauner-Kilbi ist Herkommen aus dem grauen Alterthum. Schade, daß noch kein schweizerischer Hogarth die bunte Versammlung von Strolchen, Bettlern und Heimathlosen, in der Herrlichkeit ihres dreitägigen Ehren- und Jubelfestes, zeichnete! Die Umgebung dazu wäre schon allein der Darstellung würdig. Denn der Flecken Gersau liegt gar malerisch, wenn auch nicht ganz bequem, zwischen dem Seeufer, und den Rigifelsen eingeklemmt.

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Wer das Schwytzervolk kennt, muß es liebgewinnen. Roh, aber gutherzig, kirchlichstreng, aber fröhlichen Gemüths, unwissend aber rechtlich und wohlwollend, ist es aufseine Unabhängigkeit stolz, und für seine gewohnte Freiheit, oder vielmehr seine freie Gewohnheit, muthvoll, tapfer und unternehmend bis zur Vermessenheil, und wild bis zur Grausamkeit. Es gleicht seinen Waldströmen, die keiner Menschenkunst dienstbar seyn, keine Wiesen wassern, keine Mühlgewerbe treiben wollen, sondern mit durchsichtigen Wellen gaukelnd um bemoosete Felstrümmer tanzen. Aber unter Gewittergüssen erheben sie sich zornig; donnern dem Donner des Himmels entgegen; reißen Steinmassen vom Gebirg, Baumstämme vom Wald ab, und vernichten in der Wuth, mit Schlamm und Schutt, auf ein Jahrhundert die blühenden Gefilde, von denen sie umkränzt waren.

Wenn man unter diesen gutmüthigen, frommen, frischen und frohen Leuten lebt, die aber doch in Haltung und Geberde den republikanischen Troz nicht ganz verleugnen, sollte man kaum glauben, daß sie so allgemeiner, fürchterlicher Aufwallungen fähig wären, wie ihre Geschichte von ältern und neuen Zeiten erzählt. Allein jede Bedrohung, jede Störung ihrer herkömmlichen Zustande wild, Bedrohung und Störung des Lebens selber, für sie. Sich ungebunden in dem engen, armen Raum des väterlichen Erbes regen und bewegen zu können, ist das unbedingte Bedürfniß ihrer Selbsterhaltung.

Darum besteht unter ihnen Allen staatsbürgerliche Rechtsgleichheit. Der gesunde Menschenverstand sagt ihnen, daß, wie in der häuslichen, so in der Staatsfamilie, einer soviel Recht habe, soviel sey und gelte, als der andere. Der gesunde Menschenverstand sagt ihnen, daß die Ungleichheit der Natur- und Glücksgaben etwas ganz Verschiedenes von erkünstelter Ungleichheit der Rechte sey. Darum mögen sie keine andre Gesetze und Landesvorsteher, als die sie sich selbst machen; keine Abgaben zahlen, als freiwillige, vom sparsam zugemessenen Ueberfluß; keine Einmischung von Fremden in ihre innern Angelegenheiten, weil, wer nicht Eingeborner ist, ihr Bedürfniß nicht mitfühlt. Darum gewähren sie keinem Ausländer das Bürgerrecht unter sich; nur ungern andern Eidsgenossen Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung in dem kleinen Gebiet; sogar Priestern, die nicht im Lande geboren und erzogen sind, gestattet ein Landesgemeinden Gesetz (v. 1675) keine geistliche Pfründe, »es wäre denn Sach", spricht es: »Daß dergleichen taugliche Priester in unserm Land nit wären."

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So war's seit Jahrhunderten. Dies Völkchen, in seiner altväterlichen Unwissenheit, aber mit ausnehmender Gemüthskraft, hat eigentlich nie andre Freiheit gekannt und genossen, nie andre begehrt, als für seinen materiellen Bedarf. Von jener höhern Freiheit, der geistigen, ohne welche selbst in Monarchien das bürgerliche Leben für civilisirte Nationen Sklaverei scheint, weiß und will es nichts. Daß dies nie andre, dafür sorgt mit ängstlicher Vorsicht der die Gewissen leitende Priesterstand. Hier, wie in andern katholischen Freistaaten der Alpen, ist die Staatsverfassung von jeher ein wunderliches Gemenge von Demokratie, Hierarchie und Familien-Oligarchie gewesen.

Gebräuche, Uebungen, welche nach und nach gemein wurden, und in Gewohnheit verhärteten, nahmen immer zulezt Gesetzesrang ein. Es ist für den Beobachter höchst interessant in Haushalt und Leben eines solchen kleinen Hirtenstaats, wie er izt oder sonst beschaffen war, einen Bliek zu werfen. Ich will einiges daraus mittheilen.

Wie schon gesagt, nur der eingeborne Schwytzer, oder, wie er sich nennt, »Landmann" war in seinem Ländchen Alles; jeder Andere, der sich aus der Schweiz, oder aus andern Ländern, da niederließ, blieb ewiger Fremdling, das heißt, »Beisaß"; ein Verflossener von jedem bürgerlichen Genuß. Nicht einmahl Geld durfte er einem Landmann leihen (laut Gesez v. J. 1702) um denselben nicht von sich abhängig zu machen, oder auch, damit die reichern Landleute ihre Kapitalien zu desto höhern Zinsen ausleihen konnten, zu 6—8 Prozent. Die Beisassen müssen für sich Bürgen stellen, oder das Land meiden (v. J. 1638); müssen, wenn sie heirathen, abermahls 300 fl. Bürgschaft geben, und dazu eine gute Flinte, nebst Seitengewehr ins Zeughaus liefern, ausserdem noch 10 fl. in den Landskasten (in die Staatskasse). Sie dürfen nicht jagen, nicht mit dem Netz fischen, nicht über 4 Rinder auf die Gemeinweide treiben; nicht für mehr als 1000 fl. Grund und Boden kaufen; nicht in weltlichen, noch geistlichen Dingen Stimme geben. Aber eben so streng war auch (schon seit 1503) den eingebornen Landleuten untersagt, ausser Landes Geldanleihen zu machen; oder dahin Güter zu verpfänden, oder in Lehen zu geben. Hätte man nicht den Klöstern schon in alter Zeit Schranken gesetzt, so würden diese, durch fromme. Schenkungen, durch Ankäufe, durch Prozesse, den größern und bessern Theil des Landes bald zu ihrer Domäne gemacht haben. Allein jeder Verkauf, /p.71/jede Schenkung von Land und Gut an sie, ward gesetzlich ungültig und strafbar erklärt.

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Jn älteren Zeiten bewies man sich noch weit strenger in bürgerlichen Verhältnissen gegen Kloster- und Weltgeistliche, als m spätern Jahren; eben so gegen Diener und Söldner ausländischer Fürsten. Wer deren Libereien, offene Zeichen (Orden) in Kleidern, Wappen, in Häusern an der Wand, an Thüren, oder an«erswo anhenkte, mußte 5 Pfund Buße zahlen (v. 1.1516). Wie übrigens weltliche Gesetze aber aueh die Frömmigkeit unterstüzten, erhellt daraus daß (im J. 1531) geboten ward, »so oft es zu Mittag läute, solle jeder, wo er wäre, knieend mit ausgespannten Armen 5 Vater unser und Ave Maria und einen christlichen Glaube» beten"; oder, wer bei Gott und den heiligen Sacramenten schwört, »solle alsbald den Erdboden küssen", oder der schwersten Strafe gewärtig seyn (v. J. 1705).

Unter andern Landesgesetzen heb' ich noch folgende aus: »Jm XV. Jahrhundert ward jeder gehangen, der an Geld oder Geldes Werth 4 Pfenning und 5 Schilling gestohlen hatte und mit 12 ehrlichen Männern überzeuget war." Wenn der Bestohlene aber vom Dieb mehr forderte, als jener ihm genommen, kam er selber in dessen Strafe. Kirschen konnte man von jedem Baum pflücken, der vom Eigenthümer mit keinem daran befestigten Dornbusch bezeichnet war; »wer aber ab einem gedornten Baum kriesete (Kirschen pflückte) den mag man dieben (wie einen Dieb anklagen) als wenn er gestohlen hätte." (Gesez v. J. 1530). Verwundung im Duell ward mit der doppelten Strafe belegt die auf Verwundung stand; Tödtung aber im Duell, als gemeiner Mord behandelt. — Spielen war erlaubt um 5 Pfund Pfennig »oder Nidlen" (Milchrahmen); aber nie an Festtagen, Sonnabenden, heiligen Abenden, vor der heil. Messe, oder nach dem Läuten der Betglocke, (Gesetz o. J. 1518).— Einer Frau, die einem Landmann lebende, männliche Zwillinge gebiert, soll der Hr. Landsekelmeister »ohnverweilt 70 Maas guten wellschen Wein geben." (1784.) Auf Ehrbarkeit im Rath ward sehr gehalten. Hart gestraft wurde, »wer aus dem Rath schwäzte;" ein Rathsherr aber der den andern ehrverlezlich »in der Rathsstube schalt, old (oder) auf dem Estrich, (vor der Stube,)" dürfte fortan so wenig, als der Gescholtene, dem Rath weiter beiwohnen, bis nach rechtlichem Austraq der Sache (v. I. 1676.) Diese Sitte steht noch heut in Ehren. Ein »gescholtener Mann" der den Schelter nicht vor Gericht nimmt, gilt als ein ehren - unfähiger Mann.

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Man sieht daraus, daß die Gesetzgebung des Hirtenlandes höchst einfach und mangelhaft war; den Regierenden und Richtern aber weiten Spielraum und eine Willkühr, einräumte, die, in ältern und neuern Zeiten gar nicht selten auf empörende Weise benuzt wurde. Jndessen das Volk hielt sich für frei. Unkundig des Bessern, oder in herkömmlicher Unwissenheit unbeholfen zum Bessern, überließ es sich mit vertrauensvoller Kindlichkeit der Leitung seiner »geistlichen und weltlichen Herrn,» wenn sie ihm nur nicht zu schlimm mitspielten. Das hat sich in neueren Zeiten nun freilich etwas anders gestaltet.

Die Reformen nämlich, welche, seit Anfang des Jahres 1830, von den meisten Kantonen in ihren Staatsverfassungen vorgenommen wurden, sind auch auf Schwntz nicht ohne Einfluß geblieben. Es ist da unerwartet ein Lichtstrahl in die alterthümliche Finsterniß eingebrochen, der nicht mehr erlöschen kann.

Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts waren von den 38,009 Seelen, aus welchen das Völkchen besteht, nur eigentlich 12 bis 16,000 staatsbürgerlich frei, nämlich, die Landleute des einzigen Bezirks Schwntz. Das übrige zum Kanton gehörige Land war Unterthan dieses Bezirks, der sich daher auch das »altgefreite Land» hieß. Erst, als die Franzosen (im J. 1798) in die Schweiz einbrachen, und als gegen sie die Unterthanen mit ins Schlachtfeld ziehn sollten, wurden diese frei erklärt. — Auch selbst im Bezirk Schwntz wohnten noch bei 3000 Personen, die unter dem Namen der Jnsassen oder »neuen Landleute", an den bürgerlichen Rechten und Freiheiten der alten Landleute keinen Theil hatten, blos auf ein gewisses Gewerb beschränkt und mancher lästigen Bedingung unterworfen waren. Jhnen, deren Vorfahren da schon seit Jahrhunderten gelebt hatten, ward von souveräner Landsgemeinde ebenfalls endlich am Tage der Noth (am 18. April 1798,) zugesagt, daß sie hinfort, als »gefreite Landleute» angesehn werden sollten.

Was das biedre Hirtenvolk damals von ganzem Herzen gern bewilligt hatte, mogte von den regierenden Herrn wohl nur ungern gewährt worden seyn. Es ging damit manches Aemtlein für ihre Familien verloren. Jnzwischen ließ sich nichts ändern. Aber (im J. 1815) nach dem Stur; Napoleons, steuerte die Aristokratie wieder, wie in den übrigen Kantonen, auch in. Schwvtz den alten Zuständen entgegen.

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Man machte langsam und vorsichtig die ehemaligen Vorrechte des altgefreiten Landes über die sechs anlern Bezirke geltend. Diese verlangten vergebens und jahrelang eine bestimmte Landesverfassung. Sie ward immer verheißen doch, unter schlauem Zögern, nie ins Werk gesezt. Da erschien das Jahr 1830, in welchem die Mehrheit der Kantone ihre Staatsgrundgesetze «erbesserten. Als die Herrn zu Schwytz beharrlich zauderten, das Begehren der sechs »äußern Bezirke" zu erfüllen, trennten sich diese, nach vielen Unterhandlungen und «ergeblichen Vermittlungsversuchen der Tagsatzung, als ein eignes Gemeinwesen, vom altgefreiten Bezirk. Doch die Trennung dauerte nicht lange. Denn als die in der Schweiz zerstreute aristokratische Parthei, zur Wiedereroberung ihrer angemaßten Herrlichkeit, im Jahre 1833 sogar Bürgerkrieg versuchen und nicht an die eigne Ohnmacht glauben wollte; als vom Flecken Schwytz aus sogar ein schlechtbewaffneter Haufe von 600 Menschen den Angriff gegen die äußern Bezirke begann, stellte die Tagsatzung plözlich, ohne Blutvergießen, Ruhe und Ordnung her, indem sie eine Truppenmacht von l000 Mann ins Land schickte. Dann wurde die Trennung aufgehoben, und das Ländchen ist wieder, unter selbstgegebener Verfassung, eine ungetheilte Republik.

Diese Verfassung, wie einfach und den Verhältnissen des kleinen Gebiets angemessen sie auch seyn mag, enthält aber Grundsätze, die das volle Gegentheil der ehmaligen sind. Sie bringen nothwendig ein andres Leben, einen andern Geist in den engen Alpenstaat und durch ihn wahrscheinlich auch in die übrigen Berg- und Waldkantone, früher oder später.

Wenn Bürger einer Monarchie diese Grundsätze lesen, welche solches Wunder wirken sollen, werden sie lächeln müssen; denn in guten Monarchien bestehn die darin gegebnen Freiheiten längst für alle Unterthanen. Sie werden erstaunen, daß es nöthig war, erst solche Grundsätze feierlich zu erklären und durch eine Constitution in einem Lande zu beurkunden, welches man immer für eine Demokratie, für die uralte Wiege der Freiheit, zu halten gewohnt war. Aber man lernt daraus, welch eine Bewandniß es mit den ehmaligen schweizerischen Republiken hatte, die man pries, ohne von ihnen mehr, als ihre äußere Vergoldung zu, kennen.

Die Souveränetät des Volks im Kanton Schwytz thut sich, «wie seit einem halben Jahrtausend, zwar auch izt noch, durch die versammelte Landsgemeinde kund; aber nicht mehr einige Abthei- lungen

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des Volks, sondern alle Staatsbürger haben nun Recht, dabei zu erscheinen; denn alle genießen gleiche staatsbürgerliche Rechte und alle sind vor dem Gesez einander gleich. Jeder kann sich nun in einer Gemeinde niederlassen, wo er will, und Handel und Gewerbe treiben, wie der eingeborne; übt sein politisches Bürgerrecht aus, wo er wohnt, und kann vor Gericht treten, ohne von einer Behörde daran gehindert zu werden. Die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist gewährleistet, (wirklich bestehn nun schon thätige Druckerpressen zu Schwytz, wie zu Einsiedeln). Die vollziehende und richterliche Gewalt ist getrennt: kein verfassungswidriges Gericht darf mehr aufgestellt werden. Klöster stehn in jeder Beziehung unter Aufsicht des Staats; sind im Handel und Gewerbe auf die Erzeugnisse ihrer Güter und den damit verbundnen Viehstand beschränkt; dürfen auf keine Weise ihr Grundeigenthum vergrößern und müssen dennoch zu den Staatslasten, verhältnißmäßig wie andre Bürger beisteuern.

Was ist nun in dem Allen Außerordentliches? — wird man fragen. Das Außerordentliche liegt darin, daß es Mühe, ja beinah Bürgerblut, kostete, in einem sogenannten Freistaat den Genossen desselben Rechte zu verschaffen, deren sich die Unterthanen weiser Fürsten längst erfreuten!



Kommentar:
Heinrich Zschokke äuessert sich aus guter Kenntnis der Quellen und eigener Anschauung heraus zu geografischen, rechtlichen und historischen Besonderheiten im Kanton Schwyz, insbesondere auch zur Republik (heute Bezirk) Gersau und ihrer Fekkerchilbi sowie zur sozialen Abstufung in dieser Alpenregion.
Heinrich Zschokke (geboren in Magdeburg 1771, gestorben in Aarau 1848), ein Vorkämpfer liberaler Umgestaltungen in seiner Wahlheimat Schweiz, widmete das Werk "Sr. Durchlaucht dem regierenden Fürsten von Hohenzollern-Hechingen Friedrich Hermann Otto" (1776-1838), der lange als Offizier unter Napoleon gedient hatte.