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Dokument Nr. 26:

Die Dienstreise des schweizerischen Fremdenpolizeichefs Heinrich Rothmund nach Berlin, 12. Oktober bis 6. November 1942.
Bericht an den Bundesrat, abgefasst Ende Januar 1943 von Heinrich Rothmund. Das vollständige Dokument ist im Bundesarchiv Bern, Bestand E 4300 (B) 1969/78/1 einsehbar und wurde in Auszügen und mit einigen Anmerkungen in der Quellenedition "Documents Diplomatiques Suisses", Bd. 14, Bern 1997 , als Anhang zum (weniger wichtigen) Dokument Nr. 260 publiziert (S. 859-869).

E 4300 (B) 1969/78/1
Heinrich Rothmund
NOTIZ ÜBER MEINE BESPRECHUNGEN IN BERLIN
HINFLUG MONTAG, 12. OKTOBER 1942
RÜCKFLUG FREITAG, 6. NOVEMBER 1942

Vertraulich
Bern, Ende Januar 1943

[...] I. Visaerleichterungen für Schweizer.

Die erste Besprechung fand am 13. Oktober statt beim Gesandten Dr. Albrecht, Chef der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes.
An ihr nahmen deutscherseits teil die Herren Geheimrat Roediger, ebenfalls von der Rechtsabteilung, und Ministerialrat Krause. Herr Krause ist Vorsteher des Amtes Verwaltung und Recht im Hauptamt Sicherheitspolizei des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Er hat für die Durchführung der Weisungen durch die ca. 2000 Passstellen im Reich zu sorgen, jedoch keine Entscheidungsbefugnis im Einzelfall. Diese liegt bei der politischen Polizei, die neben dem Reichskriminalpolizeiamt ebenfalls zum Hauptamt Sicherheitspolizei gehört, soweit sie nicht den Passtellen im Reich zusteht.
Dr. Albrecht ist ein sehr "sachlicher" Herr. Er empfing mich jedoch sehr liebenswürdig und führte eingangs aus, dass wohl Bereitschaft bestehe, die Frage der schweizerischen Heimkehrer aus Deutschland in dem von uns gewünschten Sinne zu erledigen, dass aber im übrigen jeder die Grenze Überschreitende als Nachrichtenträger vermutet werden müsse, was unter den heutigen Umständen der deutschen Regierung grösste Zurückhaltung bei der Visumserteilung aufzwinge. Dies sei auch beim Transit durch Deutschland der Fall. Für diese Kategorie führte Dr. Albrecht das Beispiel einer Person an, die eine Mitteilung über in Deutschland Gesehenes nach Schweden gebracht habe von wo sie nach England weitergegangen sei. Als typischen Einreisefall hob Dr. Albrecht den Fall Bally hervor. Er bemerkte, die Firma Bally arbeite auch nach Feindländern; die Leiter der entsprechenden Abteilungen könnten durch Herrn Bally, dessen Blick für wirtschaftliche Verhältnisse ja besonders geschärft sei, Mitteilungen über das in Deutschland Gesehene erhalten, die dann weitergehen könnten. Dr. Albrecht bemerkte ausdrücklich, gegen die Person des Herrn Ständerat Iwan Bally liege nicht das geringste Bedenken vor.
[...]
Ich machte in der Folge verschiedenen Persönlichkeiten gegenüber, mit denen ich eingeladen war, kein Hehl aus meiner Enttäuschung über den bisherigen Verlauf meiner Besprechungen. Der für mich nun wichtigste Mann war Herr SS-Gruppenführer Heinrich Müller, Generalleutnant der Polizei und Chef der politischen Polizei im Hauptamt Sicherheitspolizei, den ich schon mehrfach in Gesellschaft getroffen hatte, sodass der persönliche Kontakt hergestellt war. Er empfing mich am Montag, den 24. Oktober, zusammen mit seinem Mitarbeiter Oberregierungsrat Huppenkothen, im Wirtschaftsraum des Reichsführers SS im Gebäude der Gestapo an der Prinz-Albrechtstrasse 8, zu einer Tasse Tee. Zur Gestapoatmosphäre: eine Seite dieses Raumes ist vollkommen bedeckt durch einen herunterhängenden Teppich. Als kurz nach meiner Ankunft im Nebenraum ein Grammophon zu spielen begann, erhob sich Herr Huppenkothen, um für die Einstellung der Musik besorgt zu sein. Herr Müller fiel ihm in den Arm mit der Bemerkung, er solle nur spielen lassen, man sei dann in der Lage festzustellen, dass niemand unserm Gespräch zuhöre!
Ich setzte zunächst die ganze Entwicklung der Visumsfrage auseinander und gab den Herren Kenntnis von meinen Besprechungen mit den Herren Roediger und Krause. Wie nicht anders zu erwarten war, legte auch Herr Müller das Hauptgewicht auf die Verhütung der Nachrichtenübermittlung. Er stützte sich dabei ausdrücklich auf ein angebliches Begehren des Oberkommandos der Wehrmacht. Ich steuerte darauf hin, Herrn Müller zu bewegen, den 2000 Visumsstellen im Reich eine besondere Weisung für die Behandlung von Gesuchen von Schweizern zu erteilen. Es überraschte mich nicht, dass Herr Müller daraufhinwies, die Weisungen seien für alle Länder die gleichen, eine Ausnahmebehandlung der Schweizer müsste für das Reich untragbare Konsequenzen haben. Zudem würde eine Änderung der bestehenden Weisungen wegen der Notwendigkeit, die verschiedenen beteiligten Dienstzweige zu begrüssen, einen Zeitraum von mehreren Monaten in Anspruch nehmen, wenn eine solche überhaupt in Betracht kommen könnte. Die Rede und Gegenrede ergab einen Überblick über das Verhältnis zwischen unsern beiden Ländern. Zur Frage des Nachrichtendienstes und namentlich der Bekämpfung jeglicher Spionage in der Schweiz verwies ich zunächst auf die strengen Vorschriften, die der Bundesrat zu Beginn des Krieges erlassen hat, um eine Wiederholung der Verhältnisse des letzten Krieges, wo die Schweiz das Eldorado der ausländischen Spione und Schieber gewesen war, zu verhüten. Um zu zeigen, dass die Abwehr nach allen Seiten die gleiche ist, verwies ich auf den Fall von Oberstlt. Trüb und seine verhältnismässig sehr strenge Bestrafung mit 8 Jahren Zuchthaus. Auch gab ich meiner Überzeugung darüber Ausdruck, dass unser Nachrichtendienst nach allen Seiten dicht ist. Ferner verwies ich auf die sehr schweren Fälle deutscher Spionage und auf die dadurch geschaffene Beunruhigung in der Schweiz, die aller Voraussicht nach bei der Behandlung der Begnadigungsgesuche durch das Parlament in noch vermehrtem Masse zum Ausdruck kommen werde, obgleich seine Sitzungen geheim geführt würden. Ich lenkte zur Notwendigkeit hinüber, von deutscher Seite einige Gesten des Entgegenkommens zu erhalten, um damit die stets korrekte Neutralitätspolitik des Bundesrates durch eine Beruhigung der öffentlichen Meinung in der Schweiz zu erleichtern. Ich bemerkte, dazu gehöre auch ein deutliches Abrücken deutscherseits von den abtrünnigen Schweizern, die zum Teil klare Landesverräter seien. Ich wies darauf hin, dass ausgerechnet während meiner Anwesenheit in Berlin Major Leonhardt in Berlin und in ändern deutschen Städten Vorträge gegen die schweizerische Neutralität halte, mit dem Bemerken, dass auch eine Aufhebung der neben den Schweizerkolonien bestehenden Sondervereinigungen der Schweizer in Deutschland, des "Bundes der Schweizer in Grossdeutschland" und des "Nationalsozialistischen Schweizerbundes", am Platze wäre.
Auf das Visumsgebiet zurückkehrend, betonte ich erneut die Notwendigkeit der Reisen hin und her, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern namentlich auch zum gegenseitigen Sichverstehen. Ich insistierte auf Erlass einer Weisung an alle deutschen Visumsstellen für die Behandlung der Gesuche von Schweizern. Ich führte aus, dass die Diskrepanz zwischen der Behandlung von Gesuchen von Deutschen und von Schweizern trotz der identischen Weisungen darauf schliessen lasse, dass bei zahlreichen Stellen eine Einstellung gegen die Schweizer, wahrscheinlich auch gegen die Schweiz bestehe; dass deshalb eine Weisung, die den Hinweis auf das grosse Entgegenkommen der Schweiz deutschen Ein- und Rückreisegesuchen gegenüber enthalte, sowie die Anweisung, die Gesuche von Schweizern wohlwollend zu behandeln, sicherlich einen grossen Erfolg zeitigen müsste. Dazu gehöre allerdings auch, für die in Deutschland wohnenden Schweizer, der Ausdruck der Überlegung, dass Besuche in ihrer Heimat, aus gesundheitlichen oder familiären Gründen, trotz des Krieges nicht unterbunden werden sollten (Verbot des Abhörens der schweizerischen Radiosendungen und der Einfuhr schweizerischer Zeitungen in Deutschland, Briefzensur). Ich fügte bei, dass unsere large Praxis deutschen Gesuchen gegenüber aus ganz selbstverständlichen Gründen, die ich darlegte, nicht weitergeführt werden könnte, wenn nicht eine wirkliche Entspannung den Schweizern gegenüber eintreten würde.
Herr Müller erklärte, es sei eben notwendig, dass sein Dienst alle Gesuche sorgfältig prüfe; diese Prüfung nehme angesichts der grossen Zahl der Fälle zwangsläufig längere Zeit - mehrere Wochen - in Anspruch. Für besonders wichtige Fälle könnte ich ihm aber über unsere Gesandtschaft direkt schreiben; er würde sich dann persönlich damit befassen. Im übrigen wolle er sich meine Anregung auf Erlass einer besondern Weisung im angedeuteten Sinne überlegen und werde mir in einigen Tagen die Antwort geben.
Auch diese Besprechung, die drei Stunden dauerte, verlief wie die früheren mit den Herren Roediger und Krause sehr liebenswürdig, wenn auch der genius loci die Atmosphäre nicht in Gemütlichkeit ausarten lässt. Vorsicht ist ja sicherlich notwendig, nicht nur für einen kriegführenden Staat, sondern auch für uns; Misstrauen jedes in jeden und in alles muss aber die Atmosphäre verpesten und erstickt die Entwicklung jeder konstruktiven Idee. Es lässt auch keine klare, verbindliche Äusserung zu.
Am Donnerstag, den 29. Oktober, anlässlich eines gemeinsamen Mittagessens im Hause der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission am Wannsee, gab mir General Müller die Antwort auf das vorgebrachte Begehren. Nachdem ich Grund hatte anzunehmen, dass das Oberkommando der Wehrmacht bezw. die dafür zuständige Abwehrstelle einer Lockerung der Visumspraxis für Schweizer sympathisch gegenübersteht und General Müller sich anlässlich unserer Besprechung hinter das OKW verschanzt hatte, war ein grosszügiges Entgegenkommen nicht zu erwarten. Ich war denn auch nicht sehr erstaunt, als mir General Müller "ungefähr" sagte, es werde eine fühlbare Entspannung eintreten in der Visumsfrage; er werde die Fälle von Schweizern etwas mehr an sich heranziehen. Das werde keine grossen Verzögerungen zur Folge haben, da sein Bureau, das bis vor kurzem überlastet gewesen sei, nun aufgearbeitet habe, sodass jeder Fall binnen längstens acht Tagen erledigt werden könne. Es werde etwa vierzehn Tage bis drei Wochen dauern, bis die Entspannung fühlbar sein werde; sie werde aber kommen. (Die "Aufarbeitung" muss sehr rasch vor sich gegangen sein!)
Trotz der wenig präzisen Formulierungen General Müllers blieb mir nichts anderes übrig, als zu erklären, ich werde einige Wochen zuwarten in der Hoffnung, die in Aussicht gestellte Entspannung werde sich bis dahin auswirken. Ich hatte ja deutlich gesagt, dass wir mit unserer weitherzigen Praxis ohne ein fühlbares deutsches Entgegenkommen nicht weiterfahren könnten. In der Schlussbesprechung kamen u. a. auch die Fälle Kaufmann und Bally nochmals zur Sprache. Für Herrn Kaufmann erklärte General Müller, er werde voraussichtlich die Bewilligung zur Heimkehr in die Schweiz erhalten. Der Fall Bally war angeblich immer noch in Prüfung. Ich erinnerte General Müller daran, dass er mich eingeladen hatte, in wichtigen Fällen direkt an ihn zu gelangen. Ich könne ihm erklären, dass ich für Herrn Iwan Bally die volle Verantwortung übernehme und garantiere dafür, dass durch seine Reise nach Deutschland keine Nachrichten über die Grenze getragen würden. Ich ersuchte General Müller, diese Erklärung vor Augen zu halten bei der Formulierung seines neuen Antrages auf Erledigung des Falles Bally. Die Bewilligung ist seither erteilt worden.

II. Gestapo, Konzentrationslager, Reichskriminalpolizeiamt, Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK), Kriegssabotagesammlung, Major Leonhardt und Konsorten.

Ich erhielt die erste Fühlung mit Herrn SS-Gruppenführer Müller anlässlich eines Abendessens, das vom Auswärtigen Amt im Hotel Kaiserhof am zweiten Tag meiner Anwesenheit in Berlin geboten wurde. Das Gespräch wurde von deutscher Seite auf die Flüchtlingskampagne in der Schweizerpresse gerichtet. Nach dem Abendessen hatten Herr Minister Frölicher und ich Herrn Müller zwischen uns, ebenfalls in einem solchen Gespräch. Es wickelte sich dann folgendes Frage- und Antwortspiel ab über die jüdischen Flüchtlinge in der Schweiz: Herr Müller: "Geben Sie doch diese Leute uns." Ich: "Was wollten Sie machen mit ihnen?" Herr Müller: "Das bleibe dahingestellt." Ich: "So." - Darauf wurde das Thema fallengelassen. Es blieb mir aber selbstverständlich haften und ich suchte die Gelegenheit, noch etwas deutlicher zu werden. Diese bot sich anlässlich eines Besuches im

Konzentrationslager Oranienburg bei Sachsenhausen,

am 21. Oktober. Ich wurde hingeführt durch Oberregierungsrat Huppenkothen, in Begleitung von Herrn Generalkonsul Speiser von der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, und empfangen vom Lagerkommandanten Major Kinzl [Rothmund missverstand den Namen des Lagerkommandanten, der in Wirklichkeit Anton Kaindl hiess]. Das Lager hat Raum für 18000 Personen und ist mit 14000 belegt. Von diesen werden die meisten tagsüber zur Arbeit in Fabriken, Steinbrüchen, usw. auswärts geführt. Die Arbeitszeit erstreckt sich von Tagesanbruch bis zum Einbruch der Nacht. Die Baracken sind so angeordnet, dass sie von einem Wachtturm aus überblickt werden können. Der Betrieb ist vollkommen militärisch. Die eingewiesenen Leute sind absichtlich ganz durcheinander gewürfelt: Unverbesserliche Verbrecher, Juden, politische Sünder, Bibelforscher als Antimilitaristen, arbeitsdienstpflichtige Ausländer die ihre Pflicht nicht taten - alle durcheinander. Wenn ich recht verstanden habe, wird jeder neu Eintretende zunächst einmal gehörig militärisch "geschlaucht". Wenn er die nötigen raschen Reaktionen auf das Kommando und die unbedingte Disziplin zeigt, wird er zur Arbeit verwendet, möglichst nach seinen Fähigkeiten. Nach drei Monaten Lageraufenthalt erfolgt die erste Überprüfung anhand der Einweisungsakten bei der Gestapo und der Führung im Lager. Die Entlassung erfolgt, wenn der Zweck erreicht zu sein scheint, manchmal auch nur provisorisch, auf Wohlverhalten und unter Anweisung eines bestimmten Aufenthaltsortes. Als schwerste Strafe im Lager ist die Prügelstrafe vorgesehen, eine als entehrend bezeichnete Strafe, die durch keinen SS-Mann vollzogen werden darf, sondern nur durch Lagerinsassen, in Gegenwart eines Arztes und von drei Zeugen. Es wurde mir der Barackenspital gezeigt, der mit allem Notwendigen ausgerüstet ist, auch mit einem Operationszimmer. Für alle Lungenkranken bestehen Röntgenaufnahmen, auch Stühle für Liegekuren; sie erhalten zusätzliche Nahrung. Die Ernährung scheint im übrigen gezwungenermassen auf das Minimum dessen beschränkt zu sein, was der arbeitende menschliche Körper benötigt. Es wurde mir denn auch erklärt, der Entzug der Nahrung als Strafe werde nicht mehr angewendet, weil der so Bestrafte am nächsten Tag nicht mehr arbeitsfähig wäre. Für die Schwerarbeiter werden tüchtige Zulagen, gutes Brot und schmackhafte Wurstwaren, auf den Arbeitsplatz befördert. - Ich kann mir nicht recht denken, dass mit diesem Freiheitsentzug und der rein militärischen Erziehungsmethode erwachsene Menschen zu bessern Staatsbürgern erzogen werden können. Es dürfte wohl in der Regel bei der äusserlich strammen Haltung sein Bewenden haben.
Beim Mittagessen ergab sich aus dem zwanglosen Gespräch Gelegenheit, die Judenfrage durchzunehmen. Ich versuchte, den Herren klarzumachen, dass Volk und Behörden in der Schweiz die Gefahr der Verjudung von jeher deutlich erkannt und sich stets so dagegen gewehrt haben, dass die Nachteile der jüdischen Bevölkerung durch die Vorteile wettgemacht wurden, während das in Deutschland nicht der Fall war. Der Gefahr kann nur dadurch begegnet werden, dass ein Volk sich von allem Anfang an gegen jede jüdische Ausschliesslichkeit wehrt und sie verunmöglicht. Dann ist der Jude ein nützliches Glied der Volksgemeinschaft und kann sich mit der Zeit anpassen. Ich fügte bei, dass ich unter den aus Deutschland zu uns geflüchteten Juden hervorragende Menschen gesehen habe. Die jüdische Rasse ist geschichtlich erprobt, zäh und stark gegenüber Verfolgungen. Sie hat bisher allen Ausrottungsversuchen standgehalten und ist immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Aus diesen Überlegungen scheine mir, so schloss ich meine Ausführungen, die heutige deutsche Methode falsch zu sein und gefährlich für uns alle, weil sie uns letztendlich die Juden auf den Hals jage. Wenn ich auch keine Zustimmung fand zu meinen Ausführungen, so wurden die Zuhörer doch recht nachdenklich. Mir war einzig und allein darum zu tun, dass die für die Judenfrage polizeilich zuständigen Leute wissen, dass wir uns soweit nötig der Juden zu erwehren verstehen und es auch tun, dass wir aber weder eine Mithilfe des Auslandes, dessen Methode wir als falsch auch ablehnen, noch eine Einmischung brauchen oder zulassen. In einem ändern Gespräch - ich glaube es war mit dem Berliner Polizeipräsidenten, Graf Helldorf - wurde mir entgegengehalten, Deutschland könne keinen ändern Weg mehr gehen als den schon beschrittenen; also ein Eingeständnis, dass dieser Weg falsch ist. Anderswo wurde die Bemerkung fallengelassen, es werde nicht mehr lange gehen mit diesem Vorgehen gegen die Juden in Deutschland. Hoffen wir das beste. Für uns ist die Hauptsache, dass man uns in Ruhe lässt, und ich müsste mich sehr täuschen, wenn man mich in diesem Punkt nicht verstanden hätte. Wenn nicht, so scheint es mir selbstverständlich zu sein, dass wir das Asylrecht ohne jede Rücksicht auf Unzukömmlichkeiten oder Gefahren etwaigen ausländischen Einmischungsversuchen gegenüber aufrechterhalten und nicht das schmähliche Beispiel Frankreichs nachahmen. Ich habe das übrigens Herrn v. Weizsäcker mit aller Deutlichkeit gesagt.
Am 22. Oktober war ich zur Besichtigung des

Reichskriminalpolizeiamtes

eingeladen und wurde vom Leiter dieser Dienststelle, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei Nebe sehr herzlich empfangen. Ich wurde zu allen Dienstchefs geführt und jeder von ihnen gab mir einen Überblick über seine Aufgabe. Die Zusammenlegung aller wichtigen Zweige der Verbrechensbekämpfung in eine Stelle im Reich verspricht bedeutend bessere Resultate als früher. General Nebe macht den Eindruck eines Offiziers mit überlieferter Einstellung. Er war sichtlich erfreut über den Besuch aus der Schweiz.
In Vertretung des verstorbenen Herrn Heydrich führt General Nebe vorläufig auch das Präsidium der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission, mit der auch wir seit Jahren zusammenarbeiten. Unsere Verbindungsmänner waren früher Herr Professor Zangger, dann auch der frühere kantonale Polizeikommandant von Zürich, Herr Jakob Müller, und in den letzten Jahren Herr Werner Müller, Polizeihauptmann der Stadt Bern. Die IKPK ist eine Gründung von Polizeipräsident Schober in Wien und wurde bis zum Anschluss Österreichs an das deutsche Reich von Wien aus geleitet. Der Sitz wurde dann nach Berlin verlegt und für die Büros und Veranstaltungen ein sehr schönes Haus gekauft, das ausserhalb Berlin, am kleinen Wannsee, gelegen ist. Am 29. Oktober wurde die

Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission

besichtigt. Herr General Nebe hatte auch Herrn Minister Feldscher, der ihn für mich zu einem Empfang eingeladen hatte, eingeladen. Herr Ministerialrat Zindel, ein aufgeschlossener Süddeutscher, der die Geschäfte führt und uns dem Namen nach schon längst bekannt ist, gab uns einen Überblick über die Arbeit der IKPK. Sie benützt zweckmässigerweise in den Einzelfällen die Akten des Reichskriminalpolizeiamtes und sucht den Weg durch den Krieg auch dadurch zu finden, dass sie es strikte vermeidet, Fälle der politischen Polizei in ihr Arbeitsgebiet, Bekämpfung des internationalen Verbrechertums, einzubeziehen. Sie kann nach dem Krieg eine sehr nützliche Institution werden.
Nach der Besichtigung kamen zum Essen die Herren SS-Gruppenführer Müller und Streckenbach, letzterer der Leiter der Ausbildung der SS-Mannschaft. Ich fragte ihn, wie denn die Mannschaft vorgebildet werde, die aus den Insassen der Konzentrationslager vollwertige Staatsbürger machen sollte, wie man mir gesagt habe. Er entwickelte sein Programm über die Ausbildung der SS im allgemeinen. Eine besondere Ausbildung in der von mir erfragten Richtung besteht nicht. Der Zweck soll durch militärische und Arbeits-Disziplin erreicht werden. Ich muss zu den Ausführungen von Herrn Streckenbach das gleiche Fragezeichen machen wie zur Zweckmässigkeit der Konzentrationslager. Wenn auch der SS-Mann nach drei Jahren gemeinsamen Ausbildungsdienstes individuell weitergebildet wird für irgendeinen Zweig der Staats- oder der Parteiverwaltung, so spürt man dahinter nicht die Entwicklung der Eigenpersönlichkeit, sondern nur die Ausbildung zum Zwecke der absoluten Einordnung in das Programm der Partei. Das Resultat kann nur ein Kastengeist sein, mit der markierten Überheblichkeit gegenüber den ändern Menschen. Diese, soweit sie der Schicht der Gebildeten angehören, aus der bisher die Männer hervorgingen, die die Geschicke des Reiches leiteten, stehen den Theorien des Nationalsozialismus und besonders gewissen praktischen Auswirkungen, wie den Konzentrationslagern und den entsetzlichen Judenverfolgungen, ablehnend gegenüber. Sie dürfen sich aber nicht dagegen äussern, weil sie sonst Gefahr laufen, ganz ausgeschaltet oder gar verfolgt zu werden. Denn hinter allem steht die Gestapo, die mit ihrem "Erziehungsinstrument", dem Konzentrationslager, letzten Respekt geniesst. Da keiner mit Sicherheit die Beziehungen des ändern zu dieser Institution kennt, traut keiner dem ändern. Ich führe das hier aus, weil es mir am 29. Oktober, im Hause der IKPK am Wannsee, wo der ausländische Gast so empfangen werden wollte, wie es traditionsgemäss international üblich ist, klar geworden ist. Während dies die Herren Nebe und sein Mitarbeiter Zindel in der nettesten aufgeschlossenen Weise taten, zeigten ihre Kollegen von der SS Streckenbach und Müller zunächst feierliche Zurückhaltung, offenbar um sich ja nichts zu vergeben. Dazwischen sass Geheimrat Roediger vom Auswärtigen Amt, dem es ebenfalls nicht ganz wohl zu sein schien in dieser einheitlich uniformierten, aber gänzlich "gemischten" Gesellschaft. Ähnlich habe ich das immer wieder erlebt während meines Berliner Aufenthaltes.
Diese Feststellung scheint mir wichtig zu sein für unser Verhalten dem heutigen Deutschland gegenüber. In dem "forschen" Auftreten der massgebenden Parteimänner können wir in der Regel die Kompensation für die Unsicherheit finden. Es geht oft bis zum Bluff. Demgegenüber ist zweifellos stets wirksam die ruhige sichere Haltung und die ungescheute Vertretung unserer Interessen. Je mehr man sich in Berlin mit der Schweiz beschäftigen muss, umso näher lernt man sie kennen und respektieren. Trotz aller gegenteiligen Redensarten respektiert auch der heutige Deutsche ein kleines Land nur, wenn es sich den Respekt zu verschaffen weiss.
Nach Rückkehr aus Wannsee fuhren wir zu General Müller, der mir, zusammen mit SS-Gruppenführer Streckenbach, die Kriegssabotagesammlung der Gestapo zeigte. Diese enthält alle Sabotagewerkzeuge, die seit dem Krieg gefunden werden konnten; besonders von Kommunisten, Polen und Engländern, vom primitivsten Apparat zur Sprengung von Eisenbahnschienen bis zur komplizierten Magnetanlage für die Sprengung einer Schiffswand, und zu allen chemischen Sprengmitteln und Einrichtungen. Die Sammlung enthält auch das Modell der Säule des Löwenbräukellers in München, die als Attentat auf Reichskanzler Hitler gesprengt worden ist. Ferner die Reste der auf dem Dampfer "Deutschland" gefundenen Höllenmaschine, die, wie der Vorführer, dem nicht bekannt war, dass ich Schweizer bin, sagte, von einem Schweizer Juden zum Zwecke des Versicherungsbetrugs, in der Schweiz aufgegeben, auf den Dampfer verbracht wurde.
Durch Herrn Geheimrat Strack wurde ich zu Beginn meines Berliner Aufenthaltes, am 14. Oktober, in Gatov zum Mittagessen eingeladen mit Herrn Standartenführer Schellenberg, Gestapoamt 6, und seiner Frau. Schellenberg, 33 Jahre alt, ist von Herrn SS-Reichsführer Himmler mit scheinbar nicht unbedeutenden Sonderaufträgen betraut, die ihn nach Frankreich, Spanien, usw. führen. Er ist also offenbar Vertrauensmann Herrn Himmlers und dürfte, wie mir auch ein Gegner von ihm gesagt hat, einigen Einfluss haben, der jedoch nicht über den General Müllers hinauszugehen scheint. Schellenberg scheint gut auf die Schweiz eingestellt zu sein. Bei einem nachmittäglichen Ausflug in die Nähe Berlins zur Jagd am 27. Oktober hatte ich Gelegenheit, mit ihm etwas ausführlicher zu sprechen. Ich habe hervorgehoben, wie notwendig es sei, dass die Bemühungen der schweizerischen Regierung auf Aufrechterhaltung eines guten Verhältnisses zu Deutschland von Berlin aus durch einige freundschaftliche Gesten der Schweiz gegenüber gefördert werden. Herr Schellenberg schien das zu verstehen, hat er sich doch auch anlässlich einer Einladung, an der er zufälligerweise den selbstverständlich durch mich orientierten Herrn Minister Feldscher traf, aus eigener Initiative wiederholt. Ich benützte das Gespräch, um ihn, wie ich es bereits Herrn Strack gegenüber getan hatte, auf das Treiben des schweizerischen Major Leonhardt aufmerksam zu machen, der gerade während meiner Anwesenheit in Deutschland in Berlin und anderswo Vorträge halte gegen die Neutralität der Schweiz. Ich verwies auf die zwei Sonderorganisationen9 der in Deutschland wohnhaften Schweizer, die ebenfalls mit Zustimmung der zuständigen deutschen Behörden in Deutschland gegen ihr Land arbeiten. Herr Schellenberg antwortete etwas ausweichend, es sei vielleicht nicht zweckmässig, im jetzigen Augenblick mit Polizeimassnahmen einzuschreiten; er könne mir jedoch versichern, dass diese Dinge demnächst verschwinden würden. Er sei sicher, dass er mir in einigen Wochen darüber werde Bescheid sagen können, auch über andere Gesten, die der Schweiz gegenüber getan werden sollen. General Müller hat mir übrigens für die Leonhardt und Konsorten eine ähnliche Andeutung gemacht. Es heisst also auch hier, zunächst kurze Zeit abwarten, aber nur kurze Zeit. Ich habe dies Thema überall angeschnitten, weil es mir sehr wichtig zu sein scheint. Es ist nicht nur grotesk, sondern gefährlich, wenn deutsche Stellen mit schweizerischen Verrätern zusammenarbeiten dürfen. Wir brauchen uns nur an die Vorgeschichte des Anschlusses Österreichs zu erinnern. Es ist auch unwürdig für das Land, das sich solches gefallen lässt. Wir müssen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen angehen. Feststellung des Verbotes der Mitgliedschaft zu den zwei schweizerischen nationalsozialistischen Organisationen in Deutschland; Schaffung der Grundlage für die Ausbürgerung solcher Schweizer; Begehren an die deutsche Regierung, die nationalsozialistischen Organisationen der Schweizer in Deutschland zu verbieten, sowie die gegen die Schweiz gerichtete Tätigkeit einzelner Schweizer in Deutschland zu untersagen. Wenn diesem Begehren nicht Folge geleistet wird, Einschränkung der Tätigkeit der nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz (z. B. Verbot des Landesgruppenleiters), usw. Diese Massnahmen müssen vorbereitet werden für den Fall, dass meine Bemühungen, die ich selbstverständlich mit keinerlei Retorsionsandrohungen begleitet habe, ohne Erfolg bleiben sollten. Auch wenn wir auf diesem Gebiet in Berlin schwer verschnupfen sollten, so müssten wir den angedeuteten Weg gehen, weil ja das Gewährenlassen oder gar die Unterstützung der Leonhardt und Kompagnie durch die deutschen Behörden ein Beweis sind dafür, dass man unserer Unabhängigkeit früher oder später an den Kragen gehen will.

III. Presse.

Ich war nicht wenig erstaunt, als Herr Staatssekretär v. Weizsäcker anlässlich meines ersten Besuches am 20. Oktober in seinem Bureau, zu dem er mich beim ersten Mittagessen bei ihm zu Hause am 15. Oktober aufgefordert hatte, zunächst den Zweck meiner Reise als weniger interessant beiseite schob und sich über die Haltung der schweizerischen Presse beklagte, die der einzige Zankapfel sei in den Beziehungen zwischen unsern beiden Ländern. Er distanzierte sich zwar von den Äusserungen des Chefs der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, Herrn Schmidt, an die Adresse gewisser Schweizer Journalisten, erklärte aber dann, die Schweizer Presse vergifte mit ihrer Haltung die Beziehungen; wenn sie ihre Haltung ändern würde, so wären 90 Prozent aller Unzukömmlichkeiten aus der Welt geschafft, weil die Situation heute eine ganz andere sei als vor zwei Jahren. Ich hielt ihm die Bemühungen des Bundesrates, namentlich von Herrn Bundesrat v. Steiger, die Presse zur Vernunft zu bringen, vor Augen, aber auch den Umstand, dass deutscherseits auch gar nichts geschehe zur Unterstützung dieser Bemühungen. Ferner hob ich die Haltung der deutschen Presse hervor und auch die Unterstützung, die unsere abtrünnigen Schweizer in Deutschland geniessen, sowie zuletzt noch die deutsche Spionagetätigkeit in der Schweiz, die nun zu Todesurteilen geführt habe. Ich war recht erstaunt darüber, dass alle meine Einwände ohne Erfolg blieben, und habe es erst verstanden, als ich am Schluss meiner zahlreichen Begegnungen anlässlich meines Abschiedsbesuches bei Herrn v. Weizsäcker am 4. November noch einmal Gelegenheit hatte, eingehend mit ihm darüber zu sprechen. Ich werde darauf zurückkommen.
Bald nach den übeln Äusserungen von Herrn Schmidt über gewisse Schweizer Journalisten teilte mir Herr Frölicher mit, der Stellvertreter von Herrn Schmidt, Herr Braun von Stumm, habe sich an einer Pressekonferenz durch einen finnländischen Journalisten anfragen lassen, ob das Auswärtige Amt mit einem redaktionellen Artikel in der Frankfurter Zeitung, wenn ich mich richtig erinnere vom 25. Oktober, der der gesamten Schweizerpresse eine unneutrale Haltung vorwirft, einverstanden sei. Er habe mit Ja geantwortet. Ich fand Herrn Braun v. Stumm bei einer Einladung zum Mittagessen bei Herrn und Frau v. Weizsäcker am 28. Oktober und habe ihn beim Kaffee etwas herausfordernd gefragt, ob man denn immer noch nicht zufrieden sei mit der Schweizerpresse. Diese Bemerkung löste eine recht lebhafte, etwa dreiviertelstündige Diskussion aus, bei der Herr v. Stumm zwar sagte, er hätte nicht geantwortet, das Auswärtige Amt sei einverstanden mit jenem Artikel, sondern lediglich, der Artikel "liege in seiner Richtung", mir aber zugestehen musste, er hätte den Artikel selbst gar nicht gelesen! Das bot mir dann allerdings willkommenen Anlass, recht deutlich zu werden darüber, dass man der Schweiz wegen ihrer Presse immer Vorwürfe mache, dass man sich aber in keiner Weise bemühe, von der Schweiz oder ihrer Presse positiv Geleistetes anzuerkennen, ja dass die deutsche Presse Anerkennungen wichtiger deutscher Persönlichkeiten, wie diejenige des Herrn Gauleiters Bohle am Erntedankfest in Zürich nicht einmal bringen dürfe. Herr v. Stumm ripostierte, indem er die Behauptung aufstellte, die schweizerische Presse bringe keinen Tadel an die Adresse der Feinde Deutschlands, wenn sich diese Unmenschlichkeiten leisteten. Er brachte zwei Beispiele dafür. Eines betraf den englischen Luftfahrtminister, das andere einen ändern Engländer aus dessen Umgebung, der erklärt haben soll, die Wohnstätten der deutschen Grubenarbeiter sollten bombardiert werden, damit die Arbeiter sich weigerten, ihre Familien in Gefahr zurückzulassen und zur Arbeit zu gehen. Solange solche Dinge nicht von der Schweizerpresse an den Pranger gestellt würden, wie das bei jeder Handlung auf deutscher Seite, die ihr nicht passe, geschehe, könne die Schweiz nicht erwarten, dass die deutsche Presse irgendeinen freundlichen Artikel an ihre Adresse bringe. Ich lud Herrn v. Stumm dann immer wieder ein, doch den Artikel der Frankfurter Zeitung, dessen Inhalt er zugestimmt habe, zu lesen und dabei festzustellen, dass er nicht nur ungerecht, sondern auch falsch sei, und bemerkte, das Betrübliche an der ganzen Sache sei die Feststellung, dass man sich in der Schweiz grosse Mühe gebe, alles Unzukömmliche aus der Welt zu schaffen, währenddem ich in Deutschland, zum mindesten auf dem Sektor Presse, das Gegenteil feststellen müsse. Wir kamen zu keinem Ziel, und Herr v. Weizsäcker führte die Gegner mit einem dritten Kognak auseinander. Ich hatte aber doch den bestimmten Eindruck, dass es Herrn Braun v. Stumm ganz gut getan hat, einmal tüchtig die Leviten gelesen zu bekommen. Der schwedische Gesandte, der mit Herrn v. Weizsäcker in der Nähe sass und die Ohren spitzte, schien nicht geringes Vergnügen zu haben an unserer Unterhaltung, da er offenbar ähnliche gewöhnt ist. Wie mir Herr Botschaftsrat Dankwort von der Deutschen Gesandtschaft in Stockholm, den Herr v. Weizsäcker herberufen hatte, weil er weiss, dass wir von früher her befreundet sind, bestätigte, sind deutsche Reklamationen über die schwedische Presse ebenfalls an der Tagesordnung. Ich hatte bis dahin nirgends eine solche Ablehnung jeder Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis gefunden wie bei Herrn Braun v. Stumm. Der Vorfall stimmte mich nachdenklich.

IV. Gefangenenaustausch.

Am 16. Oktober machte ich einen Höflichkeitsbesuch bei Herrn Unterstaatssekretär Woermann, dem Stellvertreter von Herrn Staatssekretär v. Weizsäcker im Auswärtigen Amt und Vorgesetzten von Herrn Geheimrat Strack. Herr Woermann wechselte einige Worte mit mir über meine Visumsbesprechungen mit den Herren Roediger und Krause, wobei er wie alle ändern auf den Schutz vor Nachrichtenträgern hinwies. Dann warf er die Frage des Generalaustausches der Gefangenen auf. Ich wies als Antwort auf die aussergewöhnlich schweren Fälle von Spionage aus der letzten Zeit hin, auf die Unruhe, die sie bei uns verursacht haben, und darauf, dass meines Wissens noch neue schwere Fälle vorgekommen sind, sogar Fälle der Vorbereitung von Sabotagehandlungen für den Fall einer eventuellen militärischen Auseinandersetzung. Auch darauf, dass die in Deutschland gefangenen Schweizer nur einen geringen Teil von dem auf dem Kerbholz haben, was die Deutschen in der Schweiz angestellt haben. Ich könne mir deshalb einen Generalaustausch von Gefangenen gar nicht denken. Hingegen scheine es nötig, dass von deutscher Seite durch Entlassung der verhafteten schweizerischen Konsulatsbeamten eine Geste gemacht und dass die gegen die Schweiz gerichtete Spionage endlich eingestellt werde. Wenn man bereit sei, die Konsulatsbeamten freizulassen, könnte ich mir denken, dass auch schweizerischerseits einige Deutsche freigegeben würden; es könnte ja vielleicht vorgängig des definitiven Entscheides eine Absprache über das Vorgehen stattfinden. Ich erklärte, ich sei in diesen Fragen nicht zuständig, sei aber bereit, deutsche Mitteilungen entgegenzunehmen und sie durch unsern Gesandten nach Bern weiterzugeben. Herr Woermann antwortete nicht auf meine Ausführungen. Die Besprechung war sehr kurz; sie dauerte nur eine Viertelstunde.
Ich habe in ähnlicher Weise den Gefangenenaustausch angetönt bei der Gestapo und namentlich bei Herrn Generalkonsul Speiser, der der für Strafsachen zuständige Beamte der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes ist. Mit Herrn Speiser hatte ich anlässlich einer Einladung bei Herrn Minister Frölicher, im Beisein von Herrn Dr. Vischer, der diese Fragen auf unserer Gesandtschaft bearbeitet, eine informatorische Besprechung. Ich kam mit Herrn Minister Frölicher zum Schluss, dass für die Befreiung der inhaftierten schweizerischen Konsulatsbeamten ein beschränkter Austauschvorschlag von schweizerischer Seite gemacht werden sollte, was inzwischen geschehen sein dürfte.

V. Aktivierung der Tätigkeit für die Schweizerkolonien und in diesen.

Während der Dauer des Krieges und vielleicht noch eine Zeitlang darüber hinaus werden unsere in Deutschland wohnhaften, wegen des Verbotes der Einfuhr der Schweizerpresse nach Deutschland, der Abhörung des schweizerischen Radiosenders und der strengen Briefzensur von ihrem Lande abgesperrten Schweizer nur ausnahmsweise, zum grössten Teil gar nicht, nach der Schweiz reisen können. Nachdem diese Absperrung nun schon auf Jahre zurückgeht und unsere Landsleute in Deutschland ständig unter dem einseitigen sehr schweren Propagandadruck stehen, zudem über die Schweiz je länger je mehr nur Ungünstiges erfahren, sodass sie mit der Zeit irr werden müssen an ihrem Lande, muss alles getan werden was möglich ist, um ihnen zu zeigen, dass man sich um sie kümmert und um sie regelmässig über die Verhältnisse in der Schweiz aufzuklären. Ebenso müssen sich unsere Vertretungen derer annehmen, die aus Abenteuerlust oder als irgendwie Verführte illegal aus der Schweiz nach Deutschland gereist sind. Zugleich muss in unsern Kolonien offen gearbeitet werden gegen unsere abtrünnigen Landsleute, damit bald festgestellt werden kann, wer Antreiber und wer nur verführter Mitläufer ist, der zurückgewonnen werden kann. [...]

VI. Schlussbesprechungen.

[...] C.
Am Nachmittag des 4. November empfing mich Herr Staatssekretär v. Weizsäcker noch einmal in seinem Bureau zu einem Abschiedsbesuch, an dem auch Herr Minister Frölicher teilnahm. Wie alle Begegnungen mit diesem der Schweiz wohlgesinnten, zuverlässigen Mann, fand auch diese letzte statt als eine offene Aussprache, die von Herrn v. Weizsäcker eine sehr persönliche Note erhielt und deshalb auch als nicht offiziell bezeichnet wurde. Ich suchte und fand in ihm neuerdings den einzigen sachverständigen Deutschen in Berlin, mit dem ich mich ohne jeden Rückhalt offen aussprechen konnte. Wenn es wahrscheinlich auch stimmt, dass Herr v. Weizsäcker vor wichtigen diplomatischen Entscheiden nicht begrüsst oder nicht gehört wird, so liegt um ihn herum doch eine solche Atmosphäre der Anständigkeit, die den Mann sicher macht, und der Zuverlässigkeit, dass zweifellos auch seine Gegner nicht ohne weiteres über ihn hinwegschreiten könnten. Es scheint mir deshalb sehr wichtig zu sein für uns, dass er auf seinem Posten bleibt. Wie mir gesagt wurde, soll er mehr als einmal seine Demission haben geben wollen; sie sei jedoch nie angenommen worden. Ob dies stimmt, weiss ich nicht mit Sicherheit.
Herr v. Weizsäcker fragte mich über das Resultat meiner Berliner Besprechungen. Ich antwortete, die Schlussbesprechung beim Herrn Gesandten Albrecht sei sehr kühl verlaufen, kühler als ich hätte erwarten dürfen. Es bleibe mir nur die Hoffnung, es werde trotzdem zu einer Entspannung kommen auf dem Visumsgebiet, weil sonst auch unsere Praxis geändert werden müsste. Ich wollte mich bei der Visumsfrage nicht aufhalten, da mir sehr daran lag, mit Herrn v. Weizsäcker ein allgemeineres Gespräch über unsere Beziehungen zu Deutschland zu führen.
Ich begann zunächst mit dem Hinweis auf die Tätigkeit der Leonhardt und Konsorten und hob auch bei Herrn v. Weizsäcker hervor, welche Aufsicht die schweizerische Fremdenpolizei unter meiner Leitung über die Ausländer, ganz besonders über die Emigranten ausübe und wie jeder Ausländer, der sich herausnehmen würde, gegen Deutschland zu hetzen, sofort administrativ interniert würde. Es sei mir vollkommen unverständlich, dass man die abtrünnigen Schweizer in Deutschland gewähren lasse. Herr Woermann habe mir zwar gesagt, es werde etwas getan werden; desgleichen die Herren Müller und Schellenberg. Herr v. Weizsäcker schien erstaunt zu sein darüber, dass sich diese Schweizer noch so breitmachen können in Deutschland.
Zur Frage der Presse hob ich besonders hervor, dass sie zur täglichen Sorge meines Chefs gehöre, der darauf tendiere, die Presse zu leiten ohne gewaltsames Einschreiten. Ich wiederholte, was ich Herrn v. Weizsäcker schon bei unserer ersten Besprechung gesagt hatte, dass nach meiner allerdings unmassgeblichen Meinung das Maximum an Beschränkung der Pressefreiheit für unsere Verhältnisse erreicht sei. Die bisherigen Vorkehren hätten starkem Misstrauen im Volk gegen den Bundesrat gerufen und der Gerüchtemacherei Vorschub geleistet. Am meisten könnte erreicht werden, wenn die deutsche Presse mehr Positives über die Schweiz bringe. Das sei aber nicht der Fall, gegenteils würden günstige Erklärungen deutscher Partei- oder Regierungsmänner über die Schweiz in der deutschen Presse unterdrückt. Ich verwies auf die Rede Gauleiter Bohles von Anfang Oktober 1942 am Erntedankfest in Zürich. Auch auf meine Auseinandersetzung mit Herrn Braun v. Stumm. Herr v. Weizsäcker ging zum Schreibtisch, um die dort offenbar bereitgelegten "Basler Nachrichten" und die "Weltwoche" zu holen, die aber noch nicht gelesen waren. Er schlug zunächst die natürlich nicht sonderlich beliebte "Weltwoche" auf, hatte aber kein Glück und nahm darauf die "Basler Nachrichten". Dort machte er uns auf die Überschriften aufmerksam und fand in der Tat eine "General X hat in Stalingrad gehalten" als russische Meldung und auf der ändern Seite die deutsche Meldung "Rommel hält, sagt Berlin". Ferner bemerkte er, wie am Vormittag auch Herr Woermann, man merke es der ganzen Schweizerpresse an, dass sie die Niederlage Deutschlands wünsche. Er fügte bei, es sei zu spät, mit freundlichen Artikeln günstig zu wirken. Bei der heutigen Lage sei es ausgeschlossen, so etwas bei den zuständigen deutschen Behörden durchzusetzen. Es gebe nur eines, schweigen. Es könne ja jeder denken was er wolle. Ich entgegnete, die Presse als Organ der öffentlichen Meinung gehöre eben bei uns zum öffentlichen Leben. Zudem habe doch auch Deutschland während des Krieges ein gewisses Interesse an den Äusserungen einer freien Presse in einem neutralen Land. Herr v. Weizsäcker liess diesen Einwand gelten. Auf den Einwurf von Herrn Frölicher, Schweden habe gar keine Pressekontrolle, antwortete er: "Sie müssen nicht glauben, dass wir nicht mit Schweden ebensoviele Pressegespräche haben wie mit der Schweiz." Auf mein Gespräch mit Herrn Braun v. Stumm zurückkommend, bemerkte ich, nachdem dieser einen allgemein gegen die Schweizerpresse gerichteten Artikel in der Frankfurter Zeitung an einer Pressekonferenz als in der Richtung des Auswärtigen Amtes liegend bezeichnet hatte, ohne ihn selbst gelesen zu haben, sei es doch klar, dass man keine Verbesserung der Beziehungen zur Schweiz wolle, sondern dass man nur bestrebt sei, Negatives herauszufischen und hervorzuheben. Herr v. Weizsäcker sagte mir, ich möchte Herrn Bundesrat v. Steiger über das orientieren, was er mir gesagt habe. Ich entgegnete, ich werde das selbstverständlich gerne tun, könne ihm aber die Antwort meines Chefs zum voraus sagen, die dahin lauten werde, Herr Bundesrat v. Steiger tue alles was in seiner Macht stehe, Herr v. Weizsäcker möge ihm aber behilflich sein. Ich insistierte erneut darauf, dass ich persönlich davon überzeugt sei und ohne jeden Auftrag spreche, dass dem Bundesrat in seinen Bestrebungen sehr viel geholfen wäre, wenn von Berlin aus einige freundliche Gesten kommen würden. Wenn man aber spüren müsse, wie das eben der Fall sei, dass in Berlin eine ausschliesslich negative Einstellung vorherrsche, werde dem Bundesrat die Aufgabe sehr erschwert. Sie werde umso schwerer, als sicher die Debatte über die Begnadigungsgesuche erneute Unruhe schaffen werde im Lande. Der Bürger sage sich eben, es müsse doch eine Absicht dahinter stecken, wenn Kriegssabotage vorbereitet werde in der Schweiz. Das veranlasste Herrn v. Weizsäcker zur Frage, ob in der Schweiz denn noch jemand an einen militärischen Überfall glaube. Wir sollten die Spione ruhig erschiessen. - Zu diesem Kapitel füge ich bei, dass ich den bestimmten Eindruck habe, die intensive gegen die schweizerische Landesverteidigung gerichtete deutsche Spionage in der Schweiz sei nicht von der Spionagestelle der deutschen Wehrmacht veranlasst. Herr Generalkonsul Speiser hatte übrigens anlässlich einer Besprechung des Austausches von Gefangenen ziemlich spontan erklärt: "Wenn wir nur einmal einen dieser Deutschen, die in der Schweiz wegen Spionage verurteilt sind, haben könnten, damit wir in die Lage kommen würden, die deutschen Auftraggeber festzustellen." Es tun sich hier offenbar wieder Parteiinstanzen hervor. - Herr v. Weizsäcker sagte immer wieder, die Presse solle eben schweigen. Ich insistierte auf der Notwendigkeit eines Entgegenkommens. Er sagte schliesslich gequält, wir müssten nicht glauben, dass er nicht alles tue was er könne. Ich warf ein, man dürfe sich in Berlin über die Stimmung in der Schweiz nicht verwundern, solange so entsetzliche Dinge geschähen wie die Judenverfolgungen. Worauf Herr v. Weizsäcker entgegnete : "Es werden noch ganz andere Dinge geschehen in diesem Kriege." Ich sagte ihm endlich, der Zeitpunkt werde kommen, wo Deutschland froh sein werde, eine unabhängige Schweiz zum Nachbarn zu haben. Er antwortete spontan: "Dieser Zeitpunkt ist schon lange da."
Das Gespräch mit Herrn v. Weizsäcker dauerte fünfviertel Stunden. Es ermüdete den bereits müden Mann offensichtlich sehr. Ich insistierte aber immer wieder aufs Neue, weil mir daran lag, dass dieser hervorragende deutsche Regierungsmann, der die Schweiz früher sehr gut kannte, die heutigen Verhältnisse klar sieht. Die Parteileute sind ja nicht imstande dazu. Sie bemühen sich auch gar nicht um die Erkenntnis einer ändern Mentalität. Wo eine solche besteht, muss sie eben weg. Wo sie nicht freiwillig weg will, werden Machtmittel angewandt. Das gilt heute so gut wie früher, ja heute, wo es militärisch im Osten gefährlich geworden ist, noch mehr. Das System des Nationalsozialismus ist nicht anpassungs- oder wandlungsfähig. Es ist total und wird total bis zum schrecklichen Ende durchgeführt werden, wenn es nicht vorher in sich selber zusammenfällt. Weil das System total ist, ist es auch sinnlos, ihm Konzessionen zu machen, weil solche naturgemäss nur als Einlenken auf das totale Mitgehen verstanden werden können.
Beim Abschied, der sehr herzlich war, bemerkte Herr v. Weizsäcker, meine Anwesenheit in Berlin sei sehr nützlich gewesen und er möchte hoffen, dass ich bald wieder einmal herkommen werde.

Schlussbemerkung.

Die ganzen Besprechungen und Beobachtungen während meines Berliner Aufenthaltes haben mich zum Schlüsse geführt, dass es falsch wäre, den wohlgemeinten, durch dick und dünn aufrechterhaltenen Ratschlag des Herrn v. Weizsäcker inbezug auf unsere Presse zu übergehen. Aus Klugheit, und nur aus Klugheit sollte unsere Presse, vielleicht heute mehr denn je, Zurückhaltung üben. Auf der ändern Seite scheint es mir unbedingt notwendig zu sein, dass wir nichts schlucken, was vom Wege des Rechts und der Verträge abgeht, und darüber hinaus ungescheut unsere Interessen vertreten wie jedem ändern Lande gegenüber, ohne jede Rücksicht darauf, ob es den Herren in Berlin genehm sei oder nicht. Wir werden damit erreichen, dass man sich in Berlin immer wieder mit der Schweiz befassen muss. Da wir heute ohne jeden Zweifel mit unserer klar durchgeführten aussenpolitischen Maxime der striktesten Neutralität innerlich stärker sind als die Regierung des Nationalsozialismus mit ihrem übersetzten Auftreten es je war, und auch auf dem Gebiete der Staatsverwaltung und insbesondere der Ordnung in jeder Beziehung dem heutigen Deutschland überlegen sind, können wir mit einem solchen Auftreten nur Respekt hervorrufen. Zudem ist das das einzige Mittel, um die heutige Schweiz bei den deutschen Regierungsstellen bekannt zu machen. Dazu kommt natürlich, dass man auch in Parteikreisen letztendlich weiss, wie nötig man die Schweiz heute hat. Dass wir uns über Nebensächliches nicht aufhalten oder mit Deutschland zerstreiten sollen, dürfte dabei selbstverständlich sein.

Kommentar:
Der Jurist Dr. Heinrich Rothmund (1888 - 1961) war von 1919 bis 1929 Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei und von 1929 bis 1955 Chef der Polizeiabteilung in Bern, welcher die Fremdenpolizei und die Ausführung der Flüchtlingspolitik unterstand. Rothmund besuchte im Oktober 1942 während zwei Wochen Berlin und sprach mit dem Gestapo-Chef Heinrich Müller, mit Kriminalpolizeichef Arthur Nebe, mit Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, der früher Botschafter in Bern gewesen war, und mit vielen anderen Grössen des Nazireichs, insbesondere aus dem Polizeibereich. Die Treffen umfassten auch einen Jagd-Ausflug mit SS-Standartenführer Walter Schellenberg. Neben diversen Gebäuden von Regierungsinstanzen, der SS, der Gestapo sowie der Wannsee-Villa, worin die 1940 von Wien nach Berlin transferierte Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission residierte, die spätere Interpol, besuchte Rothmund auch das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin, wo er von dessen Kommandanten, Major Anton Kaindl, von Rothmund fälschlich als Kinzl geschrieben, empfangen wurde. Der SS-Sturmbannführer Walter Huppenkothen, der Rothumund nach Sachsenhausen begleitete, führte zwei Jahre später, 1944 die Unterstuchungen gegen Mitglieder des Kreises um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und leitete 1945 die Standgerichte mit anschliessender Hinrichtung von Dietrich Bonhoeffer, General Oster, Hans von Dohnanyi und anderen in Sachsenhausen und Flossenbürg, wofür er 1955 wegen Beihilfe zu Mord mit 7 Jahren Haft bestraft wurde.
Rothmunds Bericht wurde erst im Januar 1943 fertiggestellt, angeblich wegen einer Krankheit des Polizeichefs im Anschluss an seine Berlin-Reise, in Wirklichkeit wohl, weil sich nach der Rückkehr Rothmunds die Wende des Kriegsglücks im Verlauf der Einkesselung der 6. Armee Hitlers vor Stalingrad im November 1942 klar abzeichnete und der Bericht dementsprechend ausformuliert wurde. Dennoch ist die Haltung Rothmunds gegenüber diversen Nazigrössen von mangelnder Distanz gekennzeichnet. Verharmlosend ist seine Schilderung des KZ Sachsenhausen. Der spezifische Antisemitismus Rothmunds unterscheidet sich zwar von demjenigen der Nationalsozialisten, ist jedoch selber auch erschreckend. Rothmund blieb auch nach 1945 im Amt, trotz scharfer Kritik von Gegnern der restriktiven schweizerischen Flüchtlingspolitik.
Die von Rothmund positiv erwähnte Erntedankfeier vor rund 12'000 deutschen und schweizerischen Nazi-Anhängern in Zürich-Oerlikon fand im dortigen Hallenstadion anfangs Oktober 1942 statt.