Dokument Nr. 19: Prof. Dr. Freiherr Othmar v. Verschuer, Brief vom 21. Juli 1941 an das "Erbgesundheitsggericht" Frankfurt am Main. Von Verschuer empfiehlt Weiterführung des Verfahrens im Hinblick auf die Zwangssterilisation einer Sintezza, unter Bezug auf Robert Ritters Werk "Ein Menschenschlag". Universitäts-Institut Erbbiologie und Rassenhygiene Direktor: Prof. Dr. Frhr. v. Verschuer Sprechstunden der Poliklinik: Mo.Di.Do.Fr 9-10 Uhr Do.18-19 Uhr Haus der Volksgesundheit. Gartenstr.140 Fernruf Sammelnummer 65354 Nachtruf 65355 [Randvermerk:] Tagebuch Nr. 438 Frankfurt A.M. den 21.7.41. An das Erbgesundheitsgericht Frankfurt a.M. In der Erbgesundheitssache der Katharina Reinhardt gebe ich folgende Begründung zu meiner am 3.7. eingereichten Beschwerde gegen den Beschluß des Erbgesundheitsgerichts vom 11.6.1941. In der Anlage überreiche ich: 1. das Buch von Ritter “Ein Menschenschlag“ mit der Bitte um baldige Rückgabe nach Gebrauch, da das Buch Eigentum der Institutionsbücherei ist, 2. einen Bericht der Rassenhygienischen und Kriminalbiologischen Forschungsstelle des Reichgesundheitsamtes Berlin über die Sippe der Katharina Reinhardt. Aus diesen Unterlagen ist zu entnehmen: Es gibt Sippen, in welchen Vagabundentum, Kriminalität, asoziales und antisoziales Verhalten ausgesprochen erblich auftreten. In diesem völligen Versagen gegenüber den Anforderungen der menschlichen Gesellschaft ist auch eine Form des Schwachsinns im rassenhygienischen Sinne zu sehen. Es kommt dabei nicht auf Mängel bei der Intelligenzprüfung an. Die Erfahrung mit diesen jenischen Sippen ergeben vielmehr, dass die betreffenden Personen durch besonders raffiniertes Verhalten das Gericht zu täuschen verstehen. Wichtiger als der Nachweis von intellektuellen Fähigkeiten bei einer Intelligenzprüfung ist die Lebensbewährung, d.h. die praktische Probe der Begabung im Leben. Ritter spricht deshalb in seinem Buch von einem „getarnten Schwachsinn“. Unter die Psychopathien sind diese Menschen auch nicht einzureihen. Es liegt vielmehr ein für die Gemeinschaft besonders gefährlicher Erbtypus vor, der ausgemerzt werden muß. Daß Katharina Reinhardt zu den von Ritter in seinem Buch beschriebenen Erbtypen gehört, ergibt sich aus der Sippentafel des Berliner Zigeuner-Archivs einwandfrei. Die vorgelegten Unterlagen sind neue Tatsachen im Sinne des GeszVeN [Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses] und ist deshalb die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Recht beantragt. Ich bitte, den Wunsch der Berliner Forschungsstelle, nach Abschluß des Verfahrens die Akten zur Einsichtnahme dorthin zu geben, nachzukommen, da das dortige Zigeunerarchiv für das ganze Reich eingerichtet ist und praktischen Zwecken dient, wie gerade der vorliegende Fall auch gezeigt hat. (Unterschrift Prof. Othmar Freiherr von Verschuer) Kommentar: |
Professor Dr. Freiherr Othmar von Verschuer war ein "Rassenhygieniker", der vor, während und nach dem Nazismus in leitenden wissenschaftlichen Gremien wirkte. Er war Doktorvater des späteren SS-Lagerarztes von Auschwitz, Dr. Josef Mengele. Zu den Opfern seiner KZ-Foltermedizin gehörten auch Sinti und Roma. Mengele sandte die von ihm in sadistischen Operationen herausgeschnittenen Organe von Opfern der KZ-Medizin, so z.B. Augen von Zwillingen, an das Institut v. Verschuers, als dieser in Berlin arbeitete. Othmar von Verschuer war dort von 1942 bis 1948 Direktor des "Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik". Verschuer war Herausgeber der Zeitschrift "Der Erbarzt". In diesem konkreten Fall befürwortete v. Verschuer die Zwangssterilisation der Sintezza Katharina Reinhardt. Es ist anzunehmen, dass dies nicht sein einziges Gutachten dieser Art war. Auffallend ist, dass v. Verschuer seine Empfehlung auf Fortfühuung des Verfahrens zwecks Verstümmelung dieses Nazi-Opfers unter Hinweis auf die pathologisierenden Zuschreibungen abgab, die Robert Ritter in seinem Buch "Ein Menschenschlag" von 1937 auf die Gruppe der Jenischen anwendet. Prof. v. Verschuer legte Robert Ritters Buch diesem Schreiben bei. Robert Ritter bezog sich in diesem Buch und in anderen Schriften immer wieder auf die früheren diffamierenden und pathologisierenden Zuschreibungen, die schon der schweizerische Psychiater Josef Jörger in seinen "Psychiatrischen Familiengeschichten" konstruiert hatte, von denen der este Teil über die jenische Familie Stoffel 1905 und der zweite Teil über die jenische Familie Moser 1919 erschien, unter Mithilfe von Ernst Rüdin, Alfred Ploetz, Eugen Bleuler und anderen. Dieselben negativen Stereotypisierungen wurden auch vom Pro-Juventute-"Hilfswerk" für die als "Kinder der Landstrasse" bezeichneten jenischen Kinder verwendet, die in der Schweiz von 1926 bis 1973, teilweise auch schon vorher und noch nachher, systematisch aus ihren Herkunftsfamilien gerissen und in nicht-jenischen Familien oder Anstalten fremdplatziert wurden, um sie ihrer Kultur und Herkunft zu entfremden, und zwar auf direkte Anregung von Josef Jörger hin. Es kam auch in diesem Rahmen zu Zwangssterilisationen (Vgl. dazu Dokument Nr. 7 und Nr. 10). Robert Ritter arbeitete 1930/1931 als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich unter Hans Wolfgang Maier, einem Hauptbefürworter "eugenischer" Zwangssterilisationen in der Schweiz. Othmar v. Verschuer wurde nie strafrechtlich belangt und wirkte ab 1951 weiter als Professor für Humangenetik an der Universität Münster. Das Vorwort zu Hermann Arnolds Buch "Vaganten, Komödianten, Fieranten und Briganten, Untersuchung zum Vagantenproblem an vagierenden Bevölkerungsgruppen vorwiegend der Pfalz", einem Buch voll negativer Stereotypen im Stil Jörgers und Ritters, herausgegeben von der Abteilung Gesundheitswesen des Bundesministeriums des Innern, Stuttgart 1958, stammt ebenfalls von Othmar Freiher von Verschuer. Eine Foto des Originalbriefs findet sich auf http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_ak_rassenbiologie_sinti_roma, einer Seite des Instituts für Stadtgeschichte der Stadt Frankfurt am Main. (Falls die Seite nicht direkt erscheint, den Links zu Othmar v. Verschuer und zu dessen Universitätsinstitut in Frankfurt folgen.) |
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