Wir nehmen Abschied
David Burri, 1939-2010
von Willi Wottreng
David Burri war ein stolzer Jenischer. Stolz darauf, ein Fahrender zu sein: „Ein Jenischer kann Papst werden“, sagte er einmal; „aber der Papst kann kein Jenischer werden.“ Zum Reisen war er durch die Mutter gekommen, die aus dem Geschlecht der Tonini stammte. Der Vater stammte von der Familie Werro ab.
Geboren wurde er 1939, am 13. Mai. Fast immer hatte David im Wohnwagen gelebt. Abgesehen von einigen Jahren, als die Jenischen in der Schweiz von der Landstrasse praktisch verschwunden waren und er in Turgi in einem Haus wohnte. Sein erklärtes Ziel war es stets, bis zuletzt im Wohnwagen bleiben zu können, das durfte er auch.
Stolz war er denn auch auf das „Fahrende Zigeunerkulturzentrum“, das er Mitte achtziger Jahre mit seiner Frau Fineli und unter Beteiligung anderer Jenischer gegründet hatte. Es sollte die Lebensweise verkünden, die er für die richtige hielt. Es sollte den Sesshaften die Kultur und die Geschichte der Fahrenden nahe bringen; im hölzernen alten Scharotl,das es mit sich führte, hatten bis 1960 noch Verwandte gelebt. Und so nebenbei sollte das „Zigeunerkulturzentrum“ - ein wenig List gehört zum Leben - Haltegelegenheiten schaffen für andere Fahrende, seien sie Jenische oder Sinti.
Sein Fineli – Maria Mehr - war die starke Hand, die alles zusammenhielt. David wusste in jedem Moment: sie hatte den Ueberblick, über die Finanzen, über die Termine, über die Adressen. Im Alter von 17 Jahren hatte er sie kennen gelernt. Seither waren sie zusammen, gingen gemeinsam durch Schwieriges und Erfreuliches. Und sie sass in den letzten Minuten seines Lebens bei ihm.
Er konnte ungestüm sein, war eine Kämpfernatur. David hatte bei den ersten Aktionen der Fahrenden mitgemacht. 1983, als einige den Zugang zum Hagenholz-Areal in Zürichs Norden sperrten, um endlich das Recht auf einen eigenen Platz durchzusetzen. 1985, als jener Kampf gefochten wurde, der in der Geschichte der Jenischen einer der bedeutendsten gewesen ist: die Besetzung des Luzerner Lidos durch Dutzende von Wohnwagen-Familien. Zusammen mit dem Präsidenten der Radgenossenschaft Robert Huber war er der Sprecher der Wagensiedlung auf dem Platz. Die beiden kannten sich von der gemeinsamen Reise her gut. Hinzu kamen wichtige jüngere Aktivisten.Zusammen mit Huber war David kurz zuvor in den Vorstand der Radgenossen gewählt worden. An der Generalversammlung im Restaurant „Neuhaus“ in Wettingen Ende 1984. Wenige Monate später sollte er in den Protokollen als Vizepräsident aufgeführt werden. Aber fürs Vereinswesen war David nicht wirklich geeignet, er wollte sein eigener Herr und Meister sein. Darum trat er auch bald wieder aus dem Vorstand aus, ging seine eigenen Wege mit dem Zigeunerkulturzentrum.
Zum Bruch mit der „Radgenossenschaft“ liess er es aber nie kommen; er wusste, man war aufeinander angewiesen.
Am liebsten wäre er wohl ein Zirkusdirektor gewesen. Die Welt im Zelt faszinierte ihn. Dass er und Fineli jahrelang Araberpferde hielten, gehörte zum Bild: Araberpferde gelten als besonders temperamentvoll und freiheitsliebend: David erzählte einmal von einem Traum: „Fünf Araber züchten und dann fünfspännig mit dem Scharotl nach Saintes-Maries-de-la-Mer fahren.“
Persönlich herzlich und liebenswürdig, war er nie um einen Spruch verlegen. Als die Jenischen sich wieder einmal zu einer Feckerchilbi in Gersau versammelten, soll der Pfarrer auf der Kanzel gepredigt haben: leider sei der Herrgott in den Ferien, wenn die Fahrenden da seien, denn er könne dem schändlichen Treiben nicht zusehen. – Da habe David Burri vor den anwesenden Jenischen gesagt: Ja es stimme, der Herrgott sei in den Ferien. Aber das sei auch die einzige Zeit, wo er in die Ferien gehen könne – „Denn dann schauen wir.“
Er kannte die Kultur und Geschichte der Jenischen durch und durch. Was die Menschen erlitten hatten unter der Pro Juventute, wusste er von seinem Vater, der in der Jugend versorgt war in Anstalten in Erlach und im Freiburgischen. Und auf seinen Reisen kreuz und quer durch die Schweiz erfuhr er von so vielen die Namen, ihre Verwandtschaftsbeziehungen, die Geburtsdaten und konnte sie im Kopf behalten. „Er ist ein jenisches Lexikon“, sagt einmal einer; „eine bessere Datenbank gibt es nicht.“
Eine alte Weisheit sagt: Stirbt ein Mensch, verbrennt eine ganze Bibliothek. Bei David war es eine besonders reiche Bibliothek zur jenischen Kultur.
Zugleich war er ein grosser Erzähler. Ganz wahr brauchte nicht alles zu sein. Er erzählte etwa, wie er einem Rosshändler ein Pferd abgekauft habe und dabei getäuscht worden sei. Worauf er dem Händler noch ein zweites abkaufte und es wegführte. Zur Bezahlung aber habe er statt Geld das erste Pferd an der Hausecke zurückgelassen.
Und fast in jeder Situation hatte er einen Witz auf den Lippen. Für den Schreibenden war jener vom Leben nach dem Tod einer der eindrücklichsten. Ein Puur – ein Nichtjenischer – erzählt, er sei einmal „im Zigeunerhimmel“ gewesen. „So ein Chaos“, sagt der Besucher, „nichts Heiliges; nur Lärm, Lachen, Tanzen und Kinder, die herumrennen.“ Der Zigeuner nach einer Pause: Auch er sei einmal im Himmel gewesen, im Himmel der Puure. „Eine wunderbare Wiese habe ich da gesehen, schöne Blumen, prächtig alles – und menschenleer.“