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Buchbesprechung in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. November 2008

Almosen und Zwangsarbeit im Knonauer Amt

800 Jahre Kloster Kappel – Abtei, Amtshaus, Armenasyl, Korrektionsanstalt und Haus der
Stille


Von Stefan Hotz

Das Kloster Kappel hat eine 800-jährige ununterbrochene Vergangenheit als Institution. Ihr Zweck hat im Lauf der Zeit mehrfach geändert. Ein neues Buch beleuchtet erstmals die Rolle als Amtshaus nach der Reformation. Bis 1970 diente das Kloster fast 100 Jahre als Anstalt, wo auf unwürdige Weise arme und unangepasste Menschen „versorgt“ wurden.
Vor 25 Jahren wandelte es sich zum Haus der Stille. Seit dem Abschluss der Renovation im Mai heisst es wieder wie im Mittelalter: Kloster Kappel. Ein reformiertes Kloster, für eine zeitlich begrenzte Abkehr und Besinnung, doch es hat sich ein Kreis geschlossen. Der richtige Zeitpunkt also, um seine 800-jährige Geschichte im Licht der lokal- und kirchenhistorischen Entwicklung von zwei Historikern aufarbeiten zu lassen. Im Auftrag des Vereins Kappelerhof hat Peter Niederhäuser, der auch für die NZZ über historische Themen schreibt, die frühere Zeit, Thomas Huonker die jüngere Vergangenheit ausgeleuchtet.

Gutsbetrieb überlebt die Reformation
Die Freiherren von Eschenbach von der Schnabelburg haben gegen Ende des 12. Jahrhunderts das Zisterzienserkloster zu einer Zeit gegründet, als der Reformorden seine Blütezeit bereits überschritten hatte. Der kleine Konvent blieb eher unbedeutend. Durch Misswirtschaft geriet Kappel schon vor der Reformation in den Einflussbereich von Zürich. Vor allem durch seine Lage nahe den katholischen Gebieten wurde es zum Austragungsort kriegerischer Auseinandersetzungen, wo Zwingli 1531 den Tod fand. Schon vier Jahre zuvor hatte der letzte Abt das Kloster der Stadt Zürich übergeben. Der Umbruch war nicht nur Zäsur. Die Verwaltungsstrukturen und die Getreideabgaben aus den Klostergütern blieben erhalten. Das Almosenwesen, das den Betrieb danach 300 Jahre bestimmte, ging auf das Mittelalter zurück.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde das Kloster zum Amtshaus, einer Art Sozialamt für die Landvogtei Knonau. Die Säkularisierung des Kirchengutes in der Reformation war ein wichtiger Schritt beim territorialen Ausbau des Zürcher Stadtstaats. In Kappel wurden den Armen am Sonntag nach einer Almosenordnung die in der Klosteranlage gebackenen Brote verteilt. Auf Basis der Abrechnungen, die im Staatsarchiv liegen, beschreibt Peter Niederhäuser erstmals die Rolle eines Amtshauses in jener Zeit und das damalige Leben der Menschen. Säuberlich sind zum Beispiel die Kosten für die Beherbergung einer „wältschen“, also fremdsprachigen Frau während der Niederkunft und für die Hebamme aufgeführt. Der Amtmann sorgte freilich auch dafür, dass er selber nicht zu kurz kam. Ein solches Amt war eine Pfründe für verdiente Stadtbürger.

Verwahrung und Strafen
Nach dem Ende des Ancien Régime erwarb 1834 die Gemeinnützige Gesellschaft des Bezirks Affoltern das Kloster samt Gutsbetrieb für die dortigen Kirchgemeinden und richtete ein Armenasyl ein. Nachdem 1853 das Armengesetz bereits um Zwangsmassnahmen verschärft worden war, ergänzte man – aufgrund einer 1879 erfolgreichen Volksinitiative – Kappel um eine Korrektionsabteilung, in die „arbeitsscheue“ Männer und „liederliche“ Frauen amtlich verwahrt und zur Zwangsarbeit angehalten wurden. Thomas Huonker schildert, wie Alte für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten mussten und kaum genug zu essen erhielten. Erst nach 1945 gab es ein Taschengeld. Insassen der Korrektionsanstalt erhielten nach Fluchtversuchen Arrest, die körperliche Züchtigung wurde offiziell erst 1927 abgeschafft.
Es gab Bittschriften und Beschwerden, über die sich ein Chronist vor 70 Jahren nur abschätzig äusserte. Sie wurden wie alle Akten über die Insassen vernichtet. Huonker kann jedoch aufzeigen, wie berechtigt die Klagen waren. 1893 flohen mehrere verwahrte Glarner und beschwerten sich in ihrer Heimat über die Behandlung in Kappel am Albis. Die Glarner Regierung glaubte ihnen, und die beleidigte Zürcher Regierung schickte alle Glarner Insassen in ihren Kanton zurück.


Insassen der Korrektionsanstalt Kappel um 1925 (aus der Chronik des Verwalters Hans Hoffmann)

1940 schilderte der, wie er betont, unverschuldet verarmte Schlosser Heinrich F. seinem früheren Kampfgenossen, dem sozialdemokratischen Gesundheitsdirektor Jakob Kägi, in einem erhaltenen Brief ausführlich die „Ausbeuterei“ von alten, meist gebrechlichen Leuten unter Androhung von Arreststrafen. In Erwartung von regierungsrätlichem Beistand teilte er mit, die Presse, den „Beobachter“ und die „Tat“, vorerst nicht zu unterrichten. Kägi reagierte nicht. Heinrich F. wurde ein halbes Jahr später wegen „Hetzerei“ in die Psychiatrische Klinik Rheinau überwiesen.

Noch vor 40 Jahren Korrektionsanstalt
Dass Armenhäuser wie in Kappel bis in die jüngere Vergangenheit bestehen blieben, war eine Folge der in der Schweiz spät erfolgten Schaffung einer Alters- und Arbeitslosenversicherung. Bis Ende der 60-er Jahre besichtigten Zürcher Stadt- und Regierungsräte die Anstalt – und änderten wenig. Erst 1970 wurde die Korrektionsabteilung geschlossen. 1980, als die Landeskirche bereits Pläne für ein Haus der Stille wälzte, verliessen die letzten Insassen das Heim. Das Buch ruft auch die Opfer dieser Phase in Erinnerung, zum Teil mit Namen und Fotografien.

Thomas Huonker, Peter Niederhäuser: 800 Jahre Kloster Kappel. Abtei, Armenanstalt, Bildungshaus. Orell Füssli 2008, 224 S., Fr. 49.-