Buchbesprechung vom 20.11.2008 / Anzeiger aus dem Bezirk
Affoltern
Zum 800. Jubiläum der Gründung der Zisterzienserabtei Kappel
hat der Verein Kappelerhof einen umfassenden Bildband über Abtei, Armenanstalt
und Bildungshaus Kappel in Auftrag gegeben. Die Autoren, Thomas Huonker und
Peter Niederhäuser, haben die Aufgabe überzeugend gelöst.
von Bernhard Schneider
«Vor acht Jahrhunderten wurde in Kappel ein
Zisterzienserkloster gegründet, und seither war an diesem Ort – auch nach
Aufhebung des Klosters im Zusammenhang mit der Reformation – immer eine
Einrichtung vorhanden, die weit über das lokale Umfeld hinaus Wirkung
entfaltete.» So leitet Sebastian Brändli, Präsident der Antiquarischen
Gesellschaft Zürich, namens der Redaktionskommission den Band ein. Tatkräftig
mitgearbeitet in der Redaktionskommission haben neben ihm Andreas Müller, Willi
Ulmer und Dorothea Wiehmann.
Die Räumlichkeiten des Klosters, das seit der Reformation
keines mehr war und dennoch die Bezeichnung behielt, dienen heute als moderne
Tagungsstätte der evangelisch-reformierten Landeskirche. Seit dem Bezug der
renovierten Gebäude am 1. Mai 2008 heisst das Zentrum nicht mehr «Haus der
Stille und Besinnung», sondern «Kloster Kappel». Weshalb werden die markanten
Gebäude noch immer als Kloster wahrgenommen? «Dass Kappel bis in die Gegenwart
hinein seinen mittelalterlichen Charakter wahren konnte, hängt mit Umnutzungen
und der haushälterischen Haltung Zürichs zusammen, das lieber weniger als allzu
viel in seine Amtshäuser investierte. Ein wichtiger Grund war aber auch die vergleichsweise
abgeschiedene Lage und die Bedeutung Kappels als zürcherisch-reformierter
Vorposten an der gleichermassen politischen wie religiösen Grenze zur
Innerschweiz.»
Der erste Teil des Buchs befasst sich mit der eigentlichen
Klosterzeit, mit Kappel im Mittelalter. Die «Gründungsurkunde» von 1185
dokumentiert eigentlich nur eine Etappe im Gründungsprozess. Bischof Hermann
von Konstanz bestätigte Abt Wilhelm von Kappel, dass ihm die Freiherren von
Eschenbach eine Kapelle mit angegliederten Gütern und Rechten übergeben hätten,
um hier ein Zisterzienserkloster zu errichten. Zusätzlich erhielt der Abt unter
anderem Weiderechte und Eigenleute.
1527 übergaben die Kappeler Mönche unter Führung von Abt
Wolfgang Joner das Kloster der reformierten Stadt Zürich und leiteten damit den
Prozess der Reformation des Gotteshauses ein, der sich über mehrere Jahrzehnte
erstreckte. Die Stadt unter dem Einfluss des Reformators Zwingli, der 1531 in
der Schlacht bei Kappel das Leben verlor, und seines Nachfolgers, Bullinger,
des einstigen Kappeler Schulmeisters, wollte mit der Reformation keineswegs die
dem Kloster geschuldeten Feudalabgaben aufheben, sondern vielmehr in die eigene
Kasse lenken. Dazu wurde ab 1540 das Klosteramt Kappel errichtet, dem die
Zuständigkeit für den Einzug der mittelalterlichen Abgaben übertragen wurde.
Ein Teil dieser Einkünfte wurde als Almosen eingesetzt. Das Almosenwesen
berücksichtigte «unverschuldet» arme, die einen «würdigen» Lebenswandel
führten. Anerkannte Gründe für Armut waren zahlreiche eheliche Kinder oder
«Leibsschwachheit», wenn alle Bemühungen um Einkünfte nicht zum Überleben
reichten. Abgegeben wurden beispielsweise Winterkleider, damit die Armen auf
dem Weg zur Kirche nicht zu sehr frieren mussten. «Fremdes umherschweifendes
Bettelgesindel» dagegen wurde vertrieben und erhielt höchstens ein kleines
Brötchen mit auf den Weg.
Das Buch zeigt eindrücklich auf, wie Notzeiten die
Unterdrückung der Landbevölkerung noch verschärften. So stieg in den
Hungerjahren ab 1570 die Zahl der Hexenverbrennungen, da das schlechte Klima
und die daraus resultierenden Missernten Sündenböcke erforderten. Im 16.
Jahrhundert wurden in Zürich insgesamt 572 Todesurteile ausgesprochen, unter
anderem 338 wegen Diebstahls, 73 wegen Gotteslästerung, 56 wegen «Bestialität»
(Geschlechtsverkehr mit Tieren), 37 wegen Hexerei, 36 wegen Betrug und 33 wegen
Mord. Dagegen nahm sich die Zahl von lediglich zwei Menschen, die wegen
«Schmähung Zwinglis» hingerichtet wurden, geradezu bescheiden aus.
Das Buch nimmt die Gelegenheit wahr, am Beispiel von Kappel
den gesellschaftlichen Wandel der Armenpolitik aufzuzeigen. Die
«Kontrollbücher» der Armenanstalt zeigen, dass ein Armenhaus im 19. Jahrhundert
mehr ein Gefängnis als eine soziale Anstalt war: «Wegen Entweichungen hatte W.
Verlängerung bis 3. März 1890. Wieder entwichen & erhielt Verlängerung bis
3. Juli 1890.» Beklagte sich ein Insasse des Armenhauses über Schikanen, wurde
er weiter schikaniert: «Erhielt den 15. Juni 2 Tage Arrest, wegen unverschämten
Briefschreiben. Erhielt den 7. August 4 Tage Arrest, da er wieder einen Brief
schrieb, in welchem er die Anstalt & die Verwaltung auf traurige Art
verlästerte.» Das Buch schliesst mit Kappel als kirchlichem Bildungszentrum,
mit der Zeit vom Neuanfang von 1978/79 bis zur Gegenwart. Als Ziel des Buches
formuliert Pfarrer Christoph Hürlimann: «Es lässt 800 Jahre Kirchengeschichte
im Wandel miterleben und gibt Impulse, über das Wesen der Kirche und ihre
Geschichte dankbar und kritisch nachzudenken.» Nach der Durchsicht des Buches
kann der Rezensent bestätigen: Ziel erreicht.
Thomas Huonker und Peter Niederhäuser, 800 Jahre Kloster
Kappel, Abtei, Armenanstalt, Bildungshaus, 224 Seiten, 49 CHF, Orell Füssli
Verlag Zürich 2008