Vom Heimkind zum Künstler: Carl Meffert / Clément Moreau
Am 26. März 1903 kam Carl Meffert als uneheliches Kind eines Postbeamten zur Welt. Der Vater brachte ihn 1913, als der Junge 10 Jahre alt war, in ein von Ordensbrüdern betriebenes katholisches Kinderheim in Warburg, dann folgte bis zum Ende des 1. Weltkriegs eine fürsorgerische Zwangserziehungstätte in Burgsteinfurt, beide in Westfalen. "Die 'Erziehung', die dem Sohn hier verabreicht wird, geht über Prügelstrafen, Ausmieten an umliegende Fabriken und ständige Androhung von Einzelhaft nicht weit hinaus; eine Stunde Unterricht haben die Zöglinge täglich." "Versteht sich, dass ihn die trostlosen Jahre in der Fürsorge sehr stark prägen, die Erfahrung einer Umgebung, die keine Freundlichkeit zulässt, keine Solidarität und nicht die mindeste Geborgenheit."
(Martin Zingg: Carl Meffert / Clément Moreau. Ein Leben als Emigrant - Stationen zwischen Kaiserreich, Faschismus und Dritter Welt, in:Clément Moreau/Carl Meffert - Grafik für den Mitmenschen. Neue Gesellschaft für bildende Kunst und Kunstamt Kreuzberg Berlin, 1978, S.8-23, S.8f.).
Am Ende des 1.Weltkriegs kam Carl Meffert als Fünfzehnjähriger aus der Anstalt, reiste auf eigene Faust umher und knüpfte Kontakt mit kritisch Gesinnten. Es gelang ihm, ein Gerichtsverfahren gegen die Erziehungsanstalt in Gang bringen. Sein Vater steckte den talentierten Zeichner in eine Lehre als Anstreicher. Der Sohn brach die Lehre ab und verkehrte wieder in revolutionären Kreisen, die seinem konservativ gesinnten Vater so zuwider waren, dass der ihn der Militärjustiz anzeigte. Ein Standgericht verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus, die er in Wehrl absass. Anschliessend schlägt sich Carl Meffert als Dekorationsmaler und Gelegenheitsarbeiter durch, bis er schliesslich ab 1926 in Berlin Kontakt zu Künstlern wie Emil Orlik und Käthe Kollwitz findet, die ihn fördern. Er über-nimmt Illustrationsarbeiten für Zeitungen und Verlag meist linker Provenienz und hat mit seinem kräftigen Strich und mit seinen Linolschnitten zunehmend Erfolg. Carl Meffert firmiert meist mit seinem Künstlernamen Clément Moreau.
Eine seiner frühen Arbeiten ist der Zyklus "Fürsorgeerziehung" aus dem Jahr 1929. Neunzehn Linolschnitte verarbeiten seine eigenen Erfahrungen von Heimeinweisung, Misshandlungen, Fluchten und Strafen und verweisen schliesslich auf den Weg ins politische Engagement. Die eindrückliche Serie wird auf den folgenden Seiten vollständig wiedergegeben.
Vor den Nazis floh Carl Meffert / Clément Moreau 1933 in die Schweiz, 1941 weiter nach Argentinien. Als dort Juan Peròn seine Diktatur einrichtete, wurde er nach Patagonien de-portiert und floh nach Uruguay. Nach dem Sturz Peròns lebte er einige weitere Jahre in Ar-gentinien, kehrte aber 1962 in die Schweiz zurück, wo er neben weiterer grafischer Arbeit Unterricht erteilte sowie als Psychotherapeut wirkte. Carl Meffert, von seinem Freundes-kreis Jupp genannt, starb 1988, sein Nachlass liegt im Zürcher Sozialarchiv, die Stiftung Clément Moreau (www.clement-moreau.ch) verwaltet sein Erbe.
Carl Meffert / Clément Moreau wehrte sich stets dagegen, als Künstler bezeichnet zu werden. Er hielt Kunst für elitär. Sein Schaffen sei Gebrauchsgrafik, nicht Kunst. Dennoch haben sich namhafte Kunsthistoriker mit seinem Werk beschäftigt; es sei mir also erlaubt, ihn als Künstler zu betrachten und zu würdigen.
Thomas Huonker, April 2011
Es folgen auf den nächsten Seiten zuerst einige Fotos und Porträts, anschliessend die Linolschnitt-Serie "Fürsorgeerziehung"
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(um 1925) |
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1943 in Buenos Aires |
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Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 1
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 2
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 3
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 4
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 5
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 6
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 7
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 8
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 9
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 10
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 11
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 12
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 13
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 14
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 15
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 16
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 17
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 18
Clément Moreau: Linolschnittzyklus "Fürsorgeerziehung", 1929, Blatt 19
Literatur von und über Carl Meffert / Clément Moreau
Clément Moreau: Nacht über
Deutschland. 107 Linolschnitte aus den Jahren 1937–1938
Vorwort:
Heinrich Böll, Verlag Neue Münchner Galerie, 1976.
Neuausgabe in: Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft, Heft 32,
2009
Clément Moreau/Carl Meffert - Grafik für den Mitmenschen. Neue Gesellschaft für bildende Kunst und Kunstamt Kreuzberg Berlin, 1978
Carl
Meffert/Clément Moreau
Ein Leben auf der Suche nach der
Brüderlichkeit des Menschen
Werner Mittenzwei,
Henschelverlag, Berlin 1977
"Fontana Martina". Vollständiger Faksimile-Druck der von Fritz Jordi und Heinrich Vogeler 1931/32 in Ronco sopra Ascona herausgegebenen Halbmonatsschrift, Anabas-Verlag Günter Kämpf KG / Köhler Verlag KG, Giessen/Lahn, 1976, 2. Aufl. 1981
"Mein Kampf". Text von Adolf Hitler, Vorwort von Max Frisch, Zeichnungen von Clément Moreau. Verlag Neue Münchner Galerie, 1975. Türkische Ausgabe: HAVASS Yayinlari, Birinci Baski, Aralik 1977. Französische Ausgabe: Collection Combat Culturel 2, Syros, Paris 1976
carl meffert: "die welt von unten". Drei Linolschnittfolgen aus den Jahren 1928/29, LitPol Verlagsgesellschaft mbh Berlin, 1978
Clément Moreau/Carl Meffert. Linolschnitte zu Ignazio Silone. Mappe, mit einem Vorwort von Guido Magnaguagno, LitPol Verlagsgesellschaft mbh Berlin, 1980
Carl Meffert: Proletarische Kunst. Mappe, erweiterte Neuausgabe mit einer Einleitung von Dietger Pforte, LitPol Verlagsgesellschaft mbh Berlin, 1979
clément moreau: mit dem zeichenstift gegen den faschismus. Mit einem Vorwort von Guido Magnaguagno, LitPol Verlagsgesellschaft mbh Berlin, 1980
Marion Müller-Strunk: Lernen mit Clément Moreau. Ästhetisches Handeln als Prozess der Solidarität. Dissertation, Berlin 1981, Verlag Keller und Wahl, Schweiz
Clément Moreau: Im Auftrag
meiner Neugier.
Gespräche mit Marion Müller-Strunk,
Limmat Verlag Genossenschaft Zürich,1987
Clément Moreau/Carl Meffert: Frühe Arbeiten. 5 Grafikfolgen von C.M. Limmat Verlag Genossenschaft Zürich, 1983
Alfred Hutchinson: Annie – die Wäscherin. Eine südafrikanische Erzählung, illustriert von Clément Moreau, Anti-Apartheid Bewegung der Schweiz, Zürich 1983, Nachdruck 1986
Käthe Kollwitz / Clément Moreau. Katalog der Ausstellung, Künstlerhaus Metternich, Koblenz 1989, Käthe Kollwitz -Museum, Berlin 1990, Mittelrhein-Museum Koblenz, 1989