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Thomas Huonker

Armenbrot, Armengeld, Armenanstalt, Armensuppe und Armenhaus in Wädenswil von 1803 bis 1820

Ein früher Anlauf zur Einrichtung einer Armenanstalt wurde 1803 in Wädenswil gemacht. Die hier folgenden zusammenfassenden Hinweise beruhen auf der Ortsgeschichte Wädenswils, die Sekundarlehrer Johann Heinrich Kägi 1867 publizierte; ein Nachdruck dieses gründlichen Werks sei den Wädenswilern hiemit ans Herz gelegt. Die Armenanstalt sollte jene Armen betreffen, die gesund und arbeitsfähig waren. Denn diese wurden bei der 1803 anstelle der sonntäglichen Verteilung von Armenbroten eingeführten Verteilung eines Monatsgeldes, ebenfalls unter Namensaufruf im Verlauf des Gottesdienstes beim Taufstein ausgeteilt, nicht primär berücksichtigt. Gerade auf sie war die vom Stillstand (der damaligen Kirchen- und Armenpflege) Wädenswil am 6. August 1803 beschlossene Regelung gemünzt: „Alle Anwesenden sollen berechtigt sein, ihre Ansichten frei zu äussern, wenn sie jemanden sehen, der unwürdig wäre der ihm verabreichten Unterstützung“.[1] Deshalb beschloss der Stillstand, eine Armenarbeitsanstalt für die arbeitsfähigen Armen in Form staatlich geregelter Textilproduktion einzurichten. „Die arbeitslosen, aber gesunden Armengenössigen hiesiger Gemeinde sollen auf Rechnung des Steuergutes von nun an durch Fabrikation trockener Baumwolltücher (Indienne) beschäftigt werden“ [2] Bei ausreichender Arbeitsleistung, die jeden Monat überprüft wurde, erhielten auch sie Armenunterstützungsgeld. Die Arbeit erfolgte zu Hause. Wer „weder Spinnrad, noch Haspel, noch Karden zu Eigentum“ hatte, erhielt diese Produktionsmittel auf Gemeindekosten. „Wer aber neben der Arbeit dem Bettel nachzieht und des Bettelns überwiesen wird, soll nach Gutfinden des Stillstandes von dieser Anstalt sowohl als von der monatlichen Unterstützung an Geld ausgeschlossen sein.“ [3]

In einem Rundschreiben vom 6. Oktober 1803 konnte der Wädenswiler Stillstand feststellen: „Die Klasse derjenigen Armen, die bisher im Müssiggang [lebten] und dem Bettel nachzogen, ist nun durch Arbeit auf eine nützliche Art beschäftigt, und der Bettel seitens der Gemeindgenossen hat, wo nicht ganz aufgehört, so doch beträchtlich abgenommen, und die wenigen Armen, die lieber betteln als arbeiten wollen, verdienen keine Unterstützung.“ [4]

Missernten, Bettler und Armensuppe

Nach dem Bockenkrieg, der brutalen Niederschlagung eines Aufstands von Anhängern der Helvetik, die an der demokratischen helvetischen Verfassung festhalten wollten und gegen die Wiedereinführung von Vorrechten für die Aristokratie kämpften, an dem auch viele Wädenswiler teilnahmen,[5] verlagerte sich das politische Gewicht in vielen Gebieten der nunmehr wieder föderalistischen Schweiz und insbesondere auch in Zürich stark nach rechts. Die Wädenswiler Anstalt, ein früher Ansatz zu staatlicher Arbeitslosenhilfe und kommunaler Produktion, wurde durch die von der Zürcher Regierung neu eingesetzten Gemeindebehörden aufgehoben. Sie war auch nicht im Sinn der privaten lokal ansässigen Textilindustriellen gewesen, die in solchen Produktionsformen eine Konkurrenz zu ihren Fabriken fürchteten.

Der Bettel nahm nach 1804 wieder zu und steigerte sich in den Jahren der Missernten 1816 und 1817 in der ganzen Schweiz zu eigentlichen Hungerrevolten. Kägi schreibt für Wädenswil: „Die Erdäpfeläcker wurden im Herbst oft von Armen und Notleidenden geplündert, die Bäume ihrer Früchte beraubt, so dass eine Sicherheitswache organisiert werden musste.“ [6] In dieser Situation verbreiteten Elends wurde vielerorts, so auch in Wädenswil, die Abgabe eines täglichen Quantums Armensuppe praktiziert. Das stand in der Tradition der früher und in katholisch verbliebenen Regionen nach wie vor an den Klosterpforten abgegebenen Armensuppe. Die Armennahrung wurde nun jedoch oft nach dem neuen Rezept des Erfinders der so genannten Rumford-Armensuppe gekocht. Benjamin Thompson (1753 – 1814 ), in Massachusetts geboren, hatte sich im amerikanischen Revolutionskrieg auf die englische Seite geschlagen und wurde 1790 in Bayern als Graf Rumford geadelt.[7] Er liess seine Suppe erstmals 1795 für die Soldaten seiner Truppe im Sold des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz sowie für die im militärischen Arbeitshaus von München beschäftigten Arbeitslosen und Bettler kochen. Wichtige Bestandteile von Graf Rumfords Armensuppe waren gelbe Erbsen, deren hoher Eiweissanteil als Fleisch-Ersatz diente, die vielerorts noch wenig akzeptierten Kartoffeln, dazu Graupen (Rollgerste), ferner Salz und vor allem Wasser. Im September 1816 wurden in Wädenswil 200 Portionen Armensuppe verteilt. Ab Ostern 1817 wurde die Armensuppe in Wädenswil ersetzt durch Abgabe von einem Pfund Kartoffeln täglich, welche die Armen nach eigenen Vorlieben kochen oder braten durften.[8]

Ein frühes Armenhaus

Am 31. Dezember 1818 wurde das neu erbaute Armenhaus Wädenswil bezogen. „Den Armen wurde nun eröffnet, dass jedermann, der von der Gemeinde Unterstützung verlange, sich zu einem Aufenthalt im Armenhause bequemen müsse, wo dagegen für alle seine Bedürfnisse an Unterhalt, Kleidung, Pflege und Arznei gesorgt werde. Auf diese Eröffnung hin reduzierte sich einmal die Zahl derjenigen, die unterstützt zu werden wünschten, von 350 bis 400 Personen auf nur 88, welche sämtlich ins Armenhaus wandern mussten. Die auswärts verkostgeldeten Kinder, sowie diejenigen, für die man das sogenannte Fronfastengeld bezahlen musste, wurden ebenfalls ins Armenhaus eingeliefert, und alle die, welche ausserhalb der Gemeinde sich aufhielten, aber eine kleine Unterstützung bezogen, mussten auf dieselbe verzichten oder sich ins Armenhaus aufnehmen lassen. In Folge dieses Vorgehens verminderte sich die Armensteuer schnell um 25 Prozent“.[9] 

Die Insassen hatten laut Reglement „regelmässig an der öffentlichen und häuslichen Andacht teilzunehmen, die ihnen zugewiesenen Arbeiten gehörig zu besorgen, nie ohne Erlaubnis das Haus zu verlassen noch Wirtschaften zu besuchen und stets zu gehöriger Zeit heimzukehren, sich im Haus vor Streit und Grobheiten, ausserhalb demselben vor Bettelei und Trunkenheit zu hüten.“ Übertretungen wurden so gestraft: „Zurechtweisung“, „Entzug der Aufmunterungsgeschenke“, „Hausarrest“, „schmale Kost“, „Einsperrung mit oder ohne schmale Kost“, „auszeichnende Kleidung für wiederholt eingebrachte und bekannte Vaganten“.[10]  Die weiblichen Insassen arbeiteten als Seidenspinnerinnen, die männlichen als Leih-Taglöhner ausserhalb der Anstalt, später auch als Weber.[11]  Zur Ernährung hiess es: „Das Morgenessen soll bestehen aus einer guten Suppe, deren Art man von Zeit zu Zeit nach dem Willen der Kommission ändern kann, das Mittagessen aus Suppe und Gemüse, das mindestens Erdäpfel sein wird, das Nachtessen ist dem Morgenessen gleich und kann nötigenfalls mit etwas Gemüse vermehrt werden.“ [12] Gelegentlich spendeten Wohlhabendere Käse, Wurst, Kaffee, Wein und Branntwein für die Armenhäusler.[13] 

Das Wädenswiler Armenhaus wurde 1913 abgerissen.



[1] Johann Heinrich Kägi: Geschichte der Gemeinde und Herrschaft Wädensweil, Wädensweil 1867, S. 302

[2] l.c. S. 303

[3] ebda.

[4] l.c. S. 304

[5] Vgl. Joseph Jung (Hg.): Der Bockenkrieg, Aspekte eines Volksaufstands, Zürich 2004

[6] Johann Heinrich Kägi: Geschichte der Gemeinde und Herrschaft Wädensweil, Wädensweil 1867, S. 305

[7] Zu Benjamin Thompson resp. Graf Rumford vgl. George I. Brown: Graf Rumford. Das abenteuerliche Leben des Benjamin Thompson, Frankfurt 2002

[8] Johann Heinrich Kägi: Geschichte der Gemeinde und Herrschaft Wädensweil, Wädensweil 1867, S. 305 f.

[9] l.c. S. 308 f.

[10] l.c. S. 311

[11] l.c. S. 316 f.

[12] l.c. S. 319

[13] l.c. S. 319 f.